Sehr geehrte Frau Peirano.
Ich (22) bin seit drei Jahren mit meinem Freund zusammen (25).
Wir waren die ersten 1-2 Jahre sehr glücklich. Wir waren wie beste Freunde und haben uns so oft es ging gesehen, etwas unternommen und uns gesagt, dass wir uns liebten.
Kurzzeitig fühlte ich mich sogar von seiner Liebe erdrückt, weil er mir immer zeigte, wie wichtig ich ihm war.
Doch nach fast 2 Jahren Beziehung kam es zu Meinungsverschiedenheiten. Wir haben uns bis heute kein einziges Mal gestritten, aber trotzdem haben wir diese Probleme, die dazu führen, dass wir tagelang nicht miteinander reden. Danach haben wir oft schweigend zusammen gesessen und uns schlussendlich wieder zusammengerauft und gehofft, dass es besser wird. Dies war aber leider nicht der Fall und es kommt mittlerweile sehr häufig vor, dass wir diese Meinungsverschiedenheiten haben.
Wir reden nicht mehr offen miteinander, erzählen uns nur noch sehr wenig, haben uns immer weiter voneinander entfernt und scheinbar andere Ansichten, wie eine Beziehung ablaufen sollte. Für mich ist es wichtig, dass man so viel Zeit wie eben möglich miteinander verbringt, etwas zusammen unternimmt, kuschelt, sich küsst und sich sagt, dass man sich liebt. Da wir beide in dem gleichen Beruf im Schichtdienst arbeiten, war es teilweise eine Woche lang nicht möglich, dass wir uns gesehen haben, aber im Gegensatz zu ihm habe ich mich immer darum bemüht und gefragt, wann wir uns sehen können. Ich tue so viel für ihn, kriege aber kaum etwas zurück und fühle mich vernachlässigt.
Nach unserem letzten "Streit" hat er gesagt, dass es so nicht weitergeht und dass wir eine Beziehungspause machen sollten. Prinzipiell liebt er mich noch und möchte mit mir zusammen sein, allerdings möchte er, dass wir uns eine Weile nicht sehen, jeder sein Leben lebt, ohne Verpflichtungen gegenüber dem anderen zu haben bzw. wir, wenn überhaupt, freundschaftlich etwas zusammen unternehmen. Für mich kam das sehr überraschend, ich finde es durchaus sinnvoll, aber ich will es trotzdem nicht, weil mein Freund mein ein und alles ist. Ich kann nur noch den ganzen Tag weinen und weiß nicht weiter, weil ich nicht voraussagen kann, ob uns der Abstand gut tut, wir wieder zueinander finden, und alles so wird "wie früher". Ich möchte ihn eigentlich nicht verlieren, aber im Moment weiß ich selber nicht, welche Gefühle ich für ihn haben soll.
Vielleicht können Sie mir helfen.
Liebe Grüße
Lotte R.
Liebe Lotte,
ich kann verstehen, dass Sie erst mal durcheinander sind, weil Ihr Freund die Reißleine gezogen und eine Beziehungspause vorgeschlagen hat.
Es hört sich so an, als wenn Sie beide ein schwieriges Jahr miteinander hatten, in dem Sie beide nicht offen miteinander reden und sich nicht darüber austauschen konnten, was Sie beide von Ihrem Zusammensein erwarten. Stattdessen gab es miese Stimmung, Schweigen und zunehmende Distanz. Ich kann mir vorstellen, dass das für Sie beide sehr belastend war. Bei Männern ist das "Mauern" (also auf Distanz gehen und schweigen) meistens ein Zeichen, dass sie unter hohem Stress stehen und keine Lösung sehen. Ihr Freund konnte seine Vorstellungen, wie er mit Ihnen leben will (z.B. Nähe, Distanz, wie oft sieht man sich), Ihnen gegenüber nicht äußern. Ich vermute, dass er mehr Freiraum und Zeit für sich gebraucht hätte, aber Angst hatte, Ihnen das zu sagen. Er hat geahnt, dass Sie damit nicht einverstanden wären und dass er Sie damit verletzt. Deshalb ist er in eine Zwickmühle geraten: Wenn er nichts gesagt hat, wurde die Stimmung schlecht und er hatte zu wenig Freiheit - und wenn er etwas gesagt hätte, wäre aus seiner Sicht die Stimmung schlecht geworden und er hätte sich auch nicht frei gefühlt. Ihr Freund hat sich dann zuerst in der Beziehung zurückgezogen und keinen Einsatz mehr gezeigt, und dann, als ihn das noch mehr unter Druck setzte, eine Beziehungspause gefordert.
Natürlich standen auch Sie unter Druck und hatten eine belastende Zeit: Sie haben ein hohes Bedürfnis nach Nähe und Zweisamkeit. Sie haben das auch geäußert. Ihr Freund hat Ihre Wünsche aber nicht erfüllen können. Im Gegenteil: Er war zwar körperlich anwesend, aber geistig oft weiter weg, als wenn er auf einem anderen Planeten wäre.
Als ich Ihre Schilderung gelesen habe, habe ich mir deshalb gedacht, dass eine Beziehungspause bestimmt erst einmal eine gute Chance für Sie beide ist. Ihr Freund kann erst mal etwas verschnaufen und hat mehr Zeit für sich (was er anscheinend dringend braucht) und Sie müssen nicht ständig ertragen, dass Ihre Bedürfnisse nach Nähe und Harmonie im Zusammensein mit Ihrem Freund unerfüllt bleiben und Sie stattdessen das genaue Gegenteil bekommen. Denn das ist ja sehr frustrierend und traurig.
Ich rate Ihnen, sich erst einmal gedanklich mit der Beziehungspause anzufreunden und die Zeit zu nutzen, sich um sich selbst zu kümmern. Treffen Sie sich mit Ihren Freundinnen, unternehmen Sie regelmäßig schöne Dinge, gönnen Sie sich etwas Ruhe und versuchen Sie, das Alleinsein zu genießen. Wenn es Ihnen schwerfällt, machen Sie klare Tages- und Wochenpläne und denken Sie intensiv darüber nach, was Ihnen gut tut. Das können auch Kleinigkeiten sein wie sich selbst immer frische Blumen kaufen, gesund zu essen und öfter spazieren zu gehen. Die Selbstfürsorge ist eine ganz wichtige Voraussetzung, um auch in einer Liebesbeziehung gut für sich zu sorgen und stabil zu bleiben.
Ich empfehle Ihnen auch, dass Sie sich ein paar Ratgeber besorgen, in denen beschrieben wird, wie die Kommunikation in einer Beziehung besser gelingt. Psychologen haben jahrzehntelang daran geforscht, was Paare glücklich bzw. unglücklich macht, und die Kommunikation hat da einen hohen Stellenwert. Man kann in Partnerschaften viel erreichen, wenn man zum Beispiel darauf achtet, dem Partner keine Vorwürfe zu machen, sondern statt dessen Wünsche zu äußern. Wenn man dem Partner sagt: "Nie bist du für mich da, du denkst immer nur an dich" wird es ein anderes Gespräch geben als wenn man sagt: "Du fehlst mir. Kannst du heute Abend kommen?" Das ist allerdings leichter gesagt als getan, wenn man schon enttäuscht ist und sich vernachlässigt fühlt.
Ich kann Ihnen folgende Bücher empfehlen: "Die Vermessung der Liebe" von John Gottman, "Die Wahrheit beginnt zu zweit: Das Paar im Gespräch" von Michael Lukas Moeller und mein erstes Buch "Der geheime Code der Liebe", in dem Sie erkennen können, in welchen Bereichen Sie und Ihr Partner in Ihrer Beziehungspersönlichkeit ganz unterschiedlich sind und warum das so ist.
Es wird Ihnen sicher gut tun, erst einmal zu verschnaufen und etwas über gute Kommunikation in Paarbeziehungen zu lernen. Und wenn Sie und Ihr Partner einander wirklich wichtig sind, dann werden Sie auch wieder zueinander finden.
Herzliche Grüße
Julia Peirano
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ich bin in diesem Blog sehr an Ihren Kommentaren, Erfahrungen und Ratschlägen interessiert. Das bereichert den Blog gemein. Doch bitte denken Sie daran, dass die Ratsuchende etwas sehr Intimes von sich preisgibt und dafür einen geschützten Raum braucht. Deshalb wählen Sie bitte stets einen konstruktiven und respektvollen Ton, sowohl im Umgang mit der Ratsuchenden, als auch mit anderen Leserinnen und Lesern und auch mit mir.
Herzliche Grüße und frohes Schreiben
Julia Peirano