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dasgegenteilvontraurig Warum „sich helfen lassen“ zum Kotzen ist

dasgegenteilvontraurig: Warum „sich helfen lassen“ zum Kotzen ist

Wer nicht lesbisch oder schwul ist, aber unbedingt mal dieses herrlich beklemmende Gefühl eines klassischen "coming out" erleben möchte – kann ja mal ganz feierlich den Satz "Ich bin in Therapie" fallen lassen. Gerne bei Kaffee und Kuchen. Oder auf einer dieser Parties bei diesen ganz extrem aufgeschlossenen Menschen, die dann immer sofort sagen "das finde ich total mutig von dir" oder "toll, wie offen du damit umgehst."

Zum Therapeuten zu gehen ist kein per se „mutiger Schritt“ - der dafür erforderliche Mut wird für eine Hürde benötigt, welche wir aus den Überresten von leider viel zu präsenten Klischees und unserer allgemeinen Angst vor der erschreckenden Andersartigkeit des Seins fast ohne Kraftaufwand zusammengezimmert haben. Denn: für gewöhnlich ist der Gang zum Arzt mal echt keine Heldentat, ebenso wenig wie der Besuch eines Supermarkt eine ist. Dennoch suggeriert mir mein Umfeld, ich hätte mich gefälligst mal hart zu feiern für meinen Entschluss, den meiner Krankheit entsprechenden Arzt aufzusuchen. Um diese dann doch recht niederschwellige Anerkennung mal zurückzugeben:

Props für euch, Blinddarmpatienten, dass ihr euch dazu durchgerungen habt, den entzündeten Appendix dann doch von einem Fachmann entfernen zu lassen anstatt ihn euch, wie es Knigge seit Jahr und Tag empfiehlt, selbst mit einem Löffel rauszuschälen.

Psychologie ist aber auch, wenn wir mal ehrlich sind, keine richtige, also richtig richtige Disziplin. Da wird ja nur geredet.
Und da dann doch erstaunlich viele Menschen, mich eingeschlossen, des Redens mächtig sind, meist sogar, ohne dabei hinzufallen, klebt an Psychologen immer noch ein wenig der Makel der heilsteinbehangenen Lebensberaterin, jemand, der es irgendwie geschafft hat, zwar immerhin die Tarotkarten-Legerin in puncto gesellschaftlicher Akzeptanz zu überholen, dennoch aber weit abgeschlagen hinter wesentlich okkulteren Berufsfeldern wie Social-Media-Management oder gar der Werbebranche zu stehen.

"Oh, du hast eine total jungdynamische Agentur damit beauftragt, dir deine Produkte so darzustellen, wie du sie gerne dargestellt hättest, da du das selbst leider nicht so gut hinbekommst? Find ich total mutig von dir."

Richtig. Bei dem Satz erwische ich mich auch ständig.
Es gibt so eine wunderschöne Anekdote aus dem Feld der Werbung. Eine Designerin scribbelt, nach kurzem Kundengespräch, innerhalb von 10 Minuten einen Logoentwurf auf ein Blatt Papier. Darauf meint der Kunde, in 10 Minuten was auf Papier schmieren, das hätte er auch gekonnt, woraufhin die Werberin erwidert, sie habe 5 Jahre studiert, damit ihr 10 Minuten und ein Bleistift ausreichten, um ein vernünftiges Logo zu entwerfen.
So viel dann also mal kurz zu "Therapeuten" und "Da wird ja nur geredet – reden kann ich auch."

Es verhält sich nun aber noch ein wenig komplexer mit der Wahrnehmung einer Therapie.
Einerseits gilt oben Beschriebenes, andererseits ist das Wort "Therapie" oftmals verknüpft mit einem letzten Hilfeschrei, gleichsetzbar mit suizidalen Absichten.

Dass das Quatsch ist – ist so offensichtlich, dass ich mir nicht mal eine flippige Formulierung dafür einfallen lassen mag.

Fuck, es gibt großflächige Plakatwerbung, welche Menschen mit vorzeitigem Samenerguss ermutigen will, einen Arzt aufzusuchen.
Mir allerdings wurde, wenn überhaupt, empfohlen mir "helfen zu lassen".

Man beliebt zu kotzen bei dieser Formulierung.

Denn: sie schließt nicht nur einen legitimen, medizinischen Vorgang sprachlich aus, sondern impliziert auch ganz bewusst ein Stigma und einen inneren, selbstverschuldeten Unwillen zur Genesung.

Also, ich hatte irgendwie schon Bock drauf, dass es mir besser ging. Echt.
Und dann hab ich mir gedacht

Was machst du schlauer Fuchs, wenns dir nich gut geht?
Richtig. Gehste ma zum Arzt.

Hab ich dann auch gemacht.
Fanden alle total mutig von mir.
Warum auch immer.