Anzeige

Der Investigativ-Blog Das Amigo-Märchen

Der Investigativ-Blog: Das Amigo-Märchen

„Wir haben in Bayern kein Amigo-System“, sagt Horst Seehofer. Das stimmt nicht ganz: Nirgendwo ist es so leicht, Ehepartner und Verwandte auf Staatskosten zu beschäftigen wie in Bayern.

Ist es illegal, dass Georg Schmid (Foto: links), mittlerweile zurückgetretener Fraktionschef der CSU, seine Frau 23 Jahre als Sekretärin beschäftigt hat? Nein. Warum hat Georg Winter, Landtagsabgeordneter der Christsozialen, seine minderjährigen Söhne für Computerwartungsarbeiten in seinem Büro bezahlt? Weil er konnte. So etwas ist in Deutschland nur in Bayern möglich, wie Recherchen des stern belegen.

Rein rechtlich haben die bayerischen Abgeordneten, die ihre Verwandtschaft als Mitarbeiter beschäftigt und mit öffentlichen Geldern bezahlt haben, sauber gehandelt. Sie haben alle geltenden Vorschriften beachtet. Das lasche bayerische Abgeordnetengesetz macht es möglich. In keinem anderen Bundesland gibt es eine so löchrige Gesetzeslage wie in Bayern. Der Fehler liegt sehr wohl im System. Und dieses System haben die bayerischen Parlamentarier gnadenlos ausgenutzt.

Im Freistaat dürfen Abgeordnete Verwandte oder Ehepartner nach wie vor beschäftigen, wenn sie diese vor 2000 eingestellt haben – trotz Gesetzesänderung. Dutzende haben das Schlupfloch genutzt, nicht nur aus der CSU. Nirgendwo sonst existiert eine solche Altfall-Regelung. Die meisten Landesparlamente haben ihren Abgeordneten schon weit vor der Jahrtausendwende untersagt, Verwandte aus der Staatskasse zu bezahlen. Die ostdeutschen Bundesländer haben ein Amigo-Verbot größtenteils schon kurz nach Gründung ihrer Landtage Anfang der neunziger Jahre ins Abgeordnetengesetz aufgenommen. In vielen Ländern müssen die Parlamentarier eine Erklärung unterschreiben, dass sie sich an die Regeln halten. Verstöße sind theoretisch möglich – aber nach Recherchen des stern nirgendwo bekannt. Allein in Berlin beschäftigt der Piratenabgeordnete Oliver Höfinghoff eine Mitarbeiterin, die mindestens in der Vergangenheit seine Freundin war. Rechtlich anfechtbar ist das nicht, weil die beiden nicht verheiratet sind.

Auch in Bayern ist es Parlamentariern mittlerweile verboten, Mann, Frau oder Kinder von ihrer Abgeordnetenpauschale zu bezahlen – Geschwister oder Enkel gehen aber weiterhin in Ordnung. In fast allen Bundesländern ist der Kreis der Verwandten, der nicht auf Staatskosten für einen Abgeordneten arbeiten darf, viel weiter gefasst als in Bayern. In Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern oder Rheinland-Pfalz ist es Abgeordneten untersagt, Verwandte oder Schwäger ersten, zweiten und dritten Grades anzustellen. Tanten oder Nichten als Sekretärinnen sind damit ausgeschlossen.

Das hessische Abgeordnetengesetz ist besonders streng: Die Parlamentarier dürfen sogar niemanden mit Geld aus ihrer Abgeordnetenpauschale bezahlen, der mit einem anderen Landtagsabgeordneten verheiratet, verwandt oder verschwägert ist. Ein CDU-Abgeordneter darf also nicht einmal den Cousin eines Kollegen von der Linken anstellen.

Im CSU-Reich Bayern zieht sich die Amigo-Wirtschaft bis in Regierungskreise. Justizministerin Beate Merk hat ihre Schwester in ihrem Abgeordnetenbüro arbeiten lassen, Landwirtschaftsminister Helmut Brunner seine Frau. Auch das wäre in anderen Bundesländern nicht ohne weiteres möglich, weil Regierung und Parlament strikt getrennt sind. In Bremen etwa sitzen der Bürgermeister und die Senatoren nicht in der Bürgerschaft, dem Bremer Parlament. Dass sie Verwandte in ihrem Abgeordnetenbüro beschäftigen, ist deshalb ausgeschlossen.

„Bayern ist definitiv deutscher Meister, was die Politikfinanzierung im Allgemeinen und die Verwandtenbeschäftigung im Speziellen angeht“, sagt der Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim, der die Amigo-Affäre mit seinem Buch „Die Selbstbediener“ ins Rollen gebracht hat. Die CSU sei mit der Macht verheiratet, sagt er. Aber auch die Opposition habe irgendwann kapituliert und das Amigo-System mitgetragen.

von Elina Hoepken und Ann-Kathrin Nezik

Das Team Investigative Recherche auf Twitter

Foto: dpa

Newsticker