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Der Investigativ-Blog Hartz-IV-Sanktionen im Regionalvergleich

Der Investigativ-Blog: Hartz-IV-Sanktionen im Regionalvergleich

Mit Sanktionen bestrafen die Arbeitsagenturen ihre Kunden, wenn sie sich nicht an die Regeln halten – 3,3 Prozent waren im Juli betroffen. In einigen Regionen aber lag der Anteil noch weit darüber.

Die Sanktionen der Jobcenter sind umstritten, Kritiker sprechen von einem "Klima der Angst": Mehr als eine Million Mal kürzten die Jobcenter binnen eines Jahres Leistungen, im Durchschnitt um 110 Euro. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist sehr bemüht, diesen Rekordwert zu relativieren: Immerhin liege die Sanktionsquote bundesweit nur bei wenigen Prozent, mehr als 96 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Bezieher halte sich an die Regeln.

Das bedeutet konkret: Sie kommen zu Terminen bei ihrem Arbeitsvermittler, bewerben sich regelmäßig und nehmen die für sie ausgesuchten, zumutbaren Arbeitsangebote an. Die Meldeversäumnisse, also nicht eingehaltene Termine, sind mit zwei Drittel aller Fälle mit Abstand der häufigste Grund für Sanktionen. Um Arbeitsangebote, Fortbildungen oder andere Maßnahmen ging es nur in jedem zehnten Fall, wie die offiziellen BA-Zahlen zum Stand Juli 2012 zeigen:

(In Eingliederungsvereinbarungen ist zum Beispiel festgehalten, wie viele Bewerbungen Arbeitslose pro Monat schreiben müssen.)

Zwei Dinge kann man aus diesem Diagramm lernen: Was die Arbeitsagenturen ihren Kunden an Jobs und Ausbildungsplätzen vermitteln, stößt nur in wenigen Fällen auf so starken Widerstand, dass daraus eine Sanktion folgt. Viel häufiger knirscht es beim regelmäßigen Kontakt zwischen Arbeitssuchenden und Arbeitsvermittlern. Wegen eines Meldeversäumnisses wurden fast 410.000 Menschen von Januar bis Juli 2012 die Leistungen gekürzt. Leider sagt die Statistik nichts darüber aus, ob einige von ihnen nicht doch einen nachvollziehbaren Grund dafür hatten, Termine verstreichen zu lassen. Aber dass hier Sand im Getriebe ist, legen die Fallzahlen schon sehr nahe.

Was ebenfalls in den bundesweiten Durchschnitten untergeht, ist die regionale Vielfalt. Insgesamt 3,27 Prozent der erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger waren im Juli von Sanktionen betroffen. In einigen der 402 Kreise und kreisfreien Städte liegt dieser Anteil deutlich niedriger, zum Beispiel im Landkreis München (0,6%) und der Stadt Solingen (0,8%). Andere hingegen übertreffen den Schnitt deutlich, allen voran die bayerischen Landkreise Lichtenfels und Passau mit einem Anteil von jeweils acht Prozent.

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Der Investigativ-Blog: Hartz-IV-Sanktionen im Regionalvergleich

(Die Karte zeigt die prozentualen Anteile der erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger, die im Juli 2012 von Sanktionen betroffen waren. Achtung: Die Legende enthält Punkte als Dezimaltrennzeichen. 0.57 bedeutet also 0,57 Prozent.)

Was ist da los – ziehen die Vermittler in Bayern etwa schneller als anderswo die rote Karte? Ein Anruf beim Jobcenter in Lichtenfels bringt Klarheit: Schuld ist die niedrige Arbeitslosigkeit im Landkreis. "Deshalb können sich unsere Vermittler intensiver kümmern, mehr Stellenangebote unterbreiten und die wenigen arbeitslosen Hartz-IV-Empfänger auch häufiger einladen", sagt deren Geschäftsführer Wolfgang Franz. Und je mehr Termine man verschicke, desto höher sei auch das Rikiso, dass diese nicht eingehalten würden.

Dass hinter der hohen Sanktionsquote in Lichtenfels vor allem diese Problematik steckt, belegen auch die offiziellen Zahlen. Von den 485 Hartz-IV-Empfängern, deren Leistungen von Januar bis Juli 2012 per Sanktion gekürzt wurden, fallen 342 in die Kategorie "Meldeversäumnis" – mehr als 70 Prozent. Doppelt so häufig wie im bundesweiten Durchschnitt aber wurden Sanktionen verhängt, weil Arbeitslose sich weigerten, einen Arbeitsplatz oder eine Maßnahme aufzunehmen oder fortzuführen. Offenbar ist also die intensivere Betreuung nicht in jedem Fall auch erfolgreich.

Das Beispiel Lichtenfels zeigt, welche spannenden regionalen Unterschiede sich in einem bundesweiten Mittelwert verbergen – und gleichzeitig, wie wenig das reine Auswerten der Zahlen über die Wirklichkeit aussagt. Wir verfolgen das Thema weiter. Wenn Sie uns persönliche Erfahrungen zukommen lassen möchten, nutzen Sie bitte unseren anonymen Briefkasten.

von Christina Elmer

Karte: © Bundesamt für Kartographie und Geodäsie, Frankfurt am Main, 2012

Daten: http://statistik.arbeitsagentur.de/

Foto: dpa/Oliver Berg

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