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Der Investigativ-Blog Was dem Staat entgeht

Der Investigativ-Blog: Was dem Staat entgeht

Der Deal klingt einfach: Ein paar Millionen für eine Steuer-CD ausgeben, etwas später viele Millionen eintreiben. Doch um wie viel Geld geht es wirklich?

Viele Milliarden Euro haben deutsche Anleger in Steuerparadiesen gebunkert, clever versteckt in Stiftungen, Trusts und anderen Finanzkonstrukten. Auf den Cent genau kann natürlich niemand sagen, wie viele Steuern dem Staat auf diesem Weg entgehen. Dafür sorgt das Bankgeheimnis.

Behelfen kann man sich mit einer Studie des britischen Steuerfachmanns Richard Murphy. in "Closing the European Tax Gap" schätzt Murphy, dass den EU-Staaten im Jahr 2009 insgesamt 864 Milliarden Euro an Steuereinnahmen entgangen sind. Nicht nur durch Steuerflüchtlinge, sondern die Schattenwirtschaft im Allgemeinen. Darunter fallen alle Wirtschaftsaktivitäten, die nicht gemeldet werden, um Steuern oder Sozialabgaben zu sparen oder Auflagen zu umgehen. Allerdings ohne kriminelle Geschäfte wie Drogenhandel und Hehlerei.

Den Umfang der Schattenwirtschaft beziffert die Studie für das Jahr 2009 auf 2258 Milliarden Euro. Etwa fünf Mal so groß war die offizielle Bilanz, also das Bruttoinlandsprodukt der EU-Staaten. In einem ähnlichen Verhältnis stehen die eingenommenen und die entgangenen Steuern zueinander.

(Achtung: In allen folgenden Grafiken dient der Punkt als Dezimaltrennzeichen, Tausender sind ggf. durch ein Komma abgetrennt.)

Wem aber stünden diese 864 Milliarden Euro zu? Laut der Studie müssten sich die EU-Staaten diese Summe nicht etwa zu gleichen Teilen oder proportional aufteilen. So beträgt der Anteil der Schattenwirtschaft in Italien, Polen und Griechenland mehr als ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung. In Österreich ist es weniger als ein Zehntel. Und in Deutschland immerhin ein Siebtel.

Vergleicht man die entgangenen Steuermillionen, liegt denn auch Italien vor Deutschland – trotz der eigentlich kleineren Wirtschaftsleistung. Gut 180 Milliarden Euro wurden laut Murphys Berechnungen 2009 an den italienischen Behörden vorbeigeschleust. Dem deutschen Fiskus hätten immerhin knapp 160 Milliarden Euro zugestanden.

Wie so häufig im Steuerstreit, klingen auch diese Summen gewaltig. Was sie bedeuten, zeigt Richard Murphy anhand von Vergleichen – mit den Gesundheitsausgaben der Staaten, ihren Haushaltsdefiziten und ihren Schulden. Deutschland zum Beispiel bräuchte 13 Jahre, um seine Staatsverschuldung allein mithilfe der entgangenen Steuern abzubauen.

Dieses Zahlenspiel hilft zwar zum Verständnis der großen Zahlen, tatsächlich liegt es aber fernab der Realität. Denn fraglich ist, ob die Schattenwirtschaft ihren Umfang behielte, wenn sämtliche Waren und Dienstleistungen aus diesem Bereich ordnungsgemäß versteuert würden. Außerdem müsste für das Szenario das Bankgeheimnis gelockert werden, die heilige Kuh der Steueroasen. Und das ist, jedenfalls momentan, kaum vorstellbar.

von Christina Elmer

Foto: Colourbox

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