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Einfach vegan Vegan ist doch ein Luxusproblem

Einfach vegan: Vegan ist doch ein Luxusproblem
60 Tage dauerte Derik Meinköhns Selbstversuch "Vegan for Youth". Er hat es nicht nur knallhart durchgezogen. Sondern bleibt jetzt auch Veganer. In "Einfach vegan" bloggt er über seinen neuen Alltag.

Ein Kollege von mir sagte neulich in der Konferenz so etwas wie: „Ach, Vegan, das ist doch ein Luxusproblem, das ist was für Leute, denen es sonst zu gut geht.“ Tatsächlich gibt es in unserer Wohlstandsgesellschaft immer mehr Leute, die vegan leben wollen oder sich dafür interessieren auch einmal Gerichte ohne Fleisch, Fisch, Eier und Milch zu essen. Veganismus, so scheint es, entwickelt sich prächtig bei Menschen, die sonst alles haben. Der Kapitalismus und die Globalisierung haben uns nicht nur dicke Autos, billige Elektronik und Plastikkram beschert, sondern auch eine immer größere Auswahl an Nahrungsmitteln. Davon konnten unsere Großeltern nur träumen. Wir können uns das heute leisten, Körner aus Südamerika zu essen, oder Algen aus Japan. Im Luxus kann sich der Veganismus ausbreiten, weil es plötzlich extrem einfach ist, an hochwertige Lebensmittel zu kommen und ohne Fleisch zu leben. Könnte da also etwas dran sein?

2500 Jahre vegan
Dazu mal ein grober Rückblick. Das Wort „vegan“ gibt es seit 1944. In dem Jahr gründete der Engländer Donald Watson, die „Vegane Gesellschaft“. Das Wort hat er sich angeblich auf einer Bootsfahrt mit seiner Frau ausgedacht. Es besteht aus dem Anfang und dem Ende des englischen Wortes für Vegetarier, Vegetarian. Für Watson war der Veganismus die logische Fortführung des Vegetarismus. Und den gibt es seit mindestens 2500 Jahren. Pythagoras sagte damals: „Alles, was der Mensch den Tieren antut, kommt auf den Menschen zurück." Er und seine Anhänger glaubten, dass Fleischgenuss den Menschen aggressiv macht und ihn ins Verderben führt. Er war vermutlich sogar Veganer, das Wort gab es allerdings damals noch nicht. Richtig durchsetzen konnte sich seine Idee lange nicht. Erst im Zeitalter der Industrialisierung gab es einen größeren Ruck. Die ersten Vegetarier-Vereine wurden gegründet, dann aber kamen die Kriege und die Menschen waren froh, dass sie überhaupt etwas zu essen hatten. Wer im Krieg Fleisch hatte, war ein Held. Und auch danach war Fleisch das Größte. Ein Zeichen des Wiederaufstiegs aus den Trümmern, ein Zeichen des Wohlstands. Es gab bald jeden Tag Fleisch auf den Tisch, die Bäuche wurden fetter und die Gesichter runder. Erfolg und Fleisch gehörten zusammen. Wer viel verdiente konnte sich auch viel davon leisten. An die Tiere dachte kaum jemand, die Menschen waren froh, dass es ihnen selbst wieder gut ging. 1975 schrieb Peter Singer „Animal Liberation“ (die Befreiung der Tiere). Der Startschuss für die Tierrechtsbewegung. In seinem Buch kommt er zu dem Schluss, dass es keine Rechtfertigung dafür gibt, wie wir mit den Tieren, die wir essen, umgehen. 2005 erschien der Film „Earthlings“ der uns zeigt, wie billiges Fleisch und Pelze hergestellt werden. Und 2009 geht Jonathan Safran Foer in seinem Buch „Tiere essen“ der Frage nach, weshalb wir überhaupt Fleisch essen und ob wir es essen würden, wenn wir wüssten, wo es herkommt.

Ob wir Pflanzen oder Fleisch wählen, Massentierbetrieb oder bäuerlichen Familienbetrieb, verändert allein noch nicht die Welt, wohl aber, wenn wir uns, unseren Kindern, unserer Umgebung und unserem Land beibringen dem Gewissen zu folgen und nicht der Bequemlichkeit. Eine der besten Gelegenheiten unsere Werte zu leben - oder sie zu verraten -, liegt in dem Essen, das wir auf unseren Teller häufen.
Tiere essen, Jonathan Safran Foer

Die glückliche Kuh gibt es nicht
Und plötzlich ist etwas anders. Es wird immer klarer, dass es das glückliche Rind auf der Milchtüte nicht gibt, und dass unsere Schweine, Puten und Hühner unter erbärmlichen Zuständen leben und sterben. In Deutschland werden pro Jahr 700 Mio. Vögel (2013), 3,6 Millionen Rinder, 58,3 Millionen Schweine, 1 Millionen Schafe und ein paar Tausend Pferde und Ziegen geschlachtet (2012). Das geht nur mit Massentierhaltung. Die Tiere, die wir essen, halten wir unter anderen Bedingungen, als die Tiere, mit den wir Gassi gehen oder denen wir den Nacken kraulen. Es gibt Leute, die haben von „Earthlings“ Albträume bekommen. Dabei zeigt der Film nur, wo unser billiges Fleisch und unsere Pelze herkommen. Das glückliche Tier und die ethisch korrekte Schlachtung entpuppen sich als Illusion. Unsere Überflussgesellschaft produziert Fleisch unter brutalen Bedingungen.

Viele nehmen das einfach so hin. Sie wollen es nicht wissen, oder sie blenden es aus. Sie essen weiter Fleisch, denn der Glaube, dass man Fleisch braucht, steckt tief in den Köpfen. Unsere Großeltern haben es uns schon eingetrichtert. Stimmt. Für sie konnte ein Stück Fleisch wirklich das Überleben bedeuten. Doch wir haben genug Alternativen. Uns zeigen heute Hochleistungssportler, dass man kein Fleisch braucht, um ein ganzer Mann zu sein. Rich Roll, Veganer, hat fünf Ironman direkt hintereinander absolviert. Es gibt inzwischen in fast jeder Sportart vegane Spitzensportler. Ein beeindruckende Liste gibt es bei greatveganathletes. Für mich sind diese Sportler ein weiterer Baustein für den Aufstieg des Veganismus. Wenn die schon alle Nährstoffe bekommen, dann doch wohl erst recht jemand, der jeden Tag am Schreibtisch sitzt. Es ist einleuchtend und ganz einfach. Man lässt nicht nur das Fleisch weg, sondern ernährt sich insgesamt bewusster, vielseitiger und meist auch gesünder als vorher.

Der Luxus ist das Problem
Das alles führt zu ein paar Fragen. Warum esse ich Fleisch? Für den Genuss? Warum kaufe ich dann nicht selten das Allerbeste, sondern oft das billigste? Ist es überhaupt richtig, das Fleisch so billig ist? Weshalb essen wir immer mehr Fleisch? Wenn wir kein Fleisch brauchen, warum quälen wir dann Tiere? Warum wählen wir Grün, vernichten aber für das Futter unserer Kühe den Regenwald? Und wenn man damit einmal anfängt geht es noch viel weiter: Warum fahren wir Autos, die so schwer sind, wie früher ein kleiner LKW? Brauchen wir alle zwei Jahre ein neues Handy? Warum muss ich einen neuen Computer kaufen, wenn ein neues Betriebssystem auf den Markt kommt? Soll ich die Hose wegwerfen, weil die Farbe letztes Jahr schon in war? Der Überfluss macht die Welt kaputt und vernichtet unsere Ressourcen in einer nie da gewesenen Geschwindigkeit. Wir werden bald 9 Milliarden Menschen sein. Was sollen die essen? Wie wird die Welt aussehen, wenn jeder so viel Fleisch ist wie wir? Und es wird immer klarer: Nicht der Veganismus ist ein Luxusproblem, sondern der Luxus selbst ist das Problem.

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