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Hans-Martin Tillack Aus meinem Leben als TV-Experte

Talkshows mit funktionierendem Selbsterhaltungstrieb meiden das Thema EU ganz, wegen der Quote. Die anderen rufen immer mal wieder gerne bei mir an. Dann, wenn sie einen EU-Kritiker brauchen.Natürlich lässt sich eine ordentlich quoten-killende Europadebatte auch mühelos mit dem üblichen Personal organisieren: Ein Europaabgeordneter von der CDU, einer von der SPD, ein Experte von der Bertelsmann-Stiftung. Gemeinsam bedauern alle dann die wachsende EU-Skepsis in der Bevölkerung und unterstreichen, dass die EU-Verfassung die bestmögliche Antwort sei, auch wenn sie bedauerlicherweise und aus sachfremden Gründen die Bürger in Frankreich abgelehnt... etc

Ab und zu sticht die EU-Talkshow-Organisierer aber der Hafer, und sie laden jemand ein, der die EU ein bisschen kritisiert. Das wird dadurch verkompliziert, dass es in Deutschland zwar eine Menge euroskeptische Bürger gibt, aber praktisch keine euroskeptischen Politiker. Es ist eine echte Marktlücke, und das ist meine Chance. Nun bin ich nach außerdeutschen Massstäben zwar ein glühender EU-Befürworter. Aber hier zu Lande bin ich "EU-Kritiker". So nannte mich gestern früh jedenfalls der Sender Sat1.

Um ehrlich zu sein: Ich bin immer sehr gerne mit EU-Abgeordneten oder Kommissionsleuten im TV-Studio. Es muß daran liegen, das sie meistens nur untereinander diskutieren. Jedenfalls sind sie nicht daran gewöhnt, dass man ihre Behauptungen in Frage stellt. Ich benutze gerne einen Trick und zitiere direkt aus offiziellen EU-Dokumenten. Das gilt in Deutschland als uneuropäisch, sorgt aber für schöne Überraschungseffekte.

Gestern bei "Weckup" auf Sat1 waren der CDU-Europaabgeordnete Andreas Schwab und der Kommissionssprecher Harald Händel mit am Tisch. Letzterem hielt ich vor, dass er EU-Kommissar Verheugen in der Berliner EU-Vertretung ein Buch mit grotesk falschen Zahlen hatte präsentieren lassen. Verheugen hatte dort behauptet, die EU-Kommission habe weniger Mitarbeiter als die Berliner Verkehrsbetriebe. Erstere hat freilich 25 bis 30.000 Leute, letztere nur gut 11.000.

Händel meinte, wahrscheinlich habe Verheugen einfach "alte Zahlen" verwendet. Kann ja passieren. Nur dass die EU-Vertretung selbst auf ihrer Website über angeblich kursierende "EU-Mythen" klagt und bei der Gelegenheit ernste Fragen über das "journalistische Ethos" stellt. Merke: Ethik ist immer das, was für die anderen gilt.

Ein andermal war ich mit dem CDU-Europaabgeordneten Elmar Brok (und einem Mann von der Bertelsmann-Stiftung, genau) bei Phoenix. Brok versicherte dort, die (vergleichsweise reichen) Dänen seien pro Kopf größere Nettozahler als wir (vergleichsweise armen) Deutschen. Das war falsch, aber vielleicht hatte er nur Schweden und Dänen verwechselt.

Meine bisherige Lieblings-TV-Debatte war mit dem EU-Abgeordneten Klaus Hänsch (SPD), auch bei Phoenix. Hänsch sollte eigentlich als EU-Verfassungsexperte unschlagbar sein. Immerhin saß er nicht nur im Verfassungskonvent, sondern sogar in dessen Präsidium. In dieser hoch exklusiven Runde wurde der Text im Detail beschlossen. Und Hänsch war dabei. Jedenfalls physisch.

Denn bei Phoenix behauptete er plötzlich steif und fest, dass dem Europaparlament laut Verfassungstext eine absolute Mehrheit genüge, um die EU-Kommission zu stürzen.

In Wahrheit verlangt der Text dafür eine - absurd hohe - Zwei-Drittel-Mehrheit. Aber das mußte ich ihm im Studio laut vorlesen, bevor Hänsch klein beigab, grummelnd.

Später verbreitete sein Büro, man könne dem SPD-Abgeordneten keinen Vorwurf machen, weil der Konvent in dieser Frage einfach nur abgeschrieben habe, was im geltenden EU-Vertrag stehe.

Das war ein erstaunliches Argument, denn eigentlich hätte man von dem ehemaligen EU-Parlamentspräsident Hänsch erwartet, dass er aus dem geltenden Vertrag zumindest die Kernbestimmungen kennt.

Und eigentlich gehören Fragen der Wahl und der Abwahl der Exekutive zu den wichtigsten Verfassungsfragen überhaupt. Trotzdem hatte der Konvent laut Hänsch-Büro die Abwahlfrage gar nicht mal diskutiert. Was Hänsch und Co. dagegen sehr wohl diskutierten (und beschlossen) war die Schaffung einer "europäischen Raumfahrtpolitik" (Artikel III-254). First things first.

Ach ja, und als ich mal im Frühjahr 2004 bei "Hart, aber fair" als Experte eingeladen war, warf mir der SPD-Europaabgeordnete Martin Schulz vor, eine "Lüge" zu verbreiten. Ich hatte darauf hingewiesen, dass Schulz und Co trotz einer damals geplanten Diätenerhöhung keineswegs vor hatten, die sie begünstigende Übererstattung von Reisespesen zu stoppen. Übrigens hatte ich nicht gelogen. Schulz dagegen... aber lassen wir das. Kurz darauf - es war gerade Europawahlkampf - war ja dann auch er dafür, diese Spesenübererstattung zu stoppen.

Ein bisschen später rief "Hart, aber fair" noch mal an und wollte mich zu einer EU-Debatte einladen. Kurz vor der Sendung wurde ich wieder ausgeladen. Ich sei nicht hinreichend euroskeptisch, wurde mir erklärt. Stattdessen holten sich die WDR-Leute den damaligen Welt-Chefredakteur Roger Köppel ins Studio. Der sei ein viel stärkerer EU-Gegner, wurde mir bedeutet. Kunststück, er ist ja auch Schweizer.

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