Anzeige

Hans-Martin Tillack Bürger belästigen Beamte

Sie sind dem Rechtsstaat verpflichtet, die Beamten der Bundesregierung. Aber beim Bürgerrecht auf Informationsfreiheit verhalten sie sich oft eigentümlich - wie soll man es sagen - gesetzesscheu.So beklagte es gestern jedenfalls Peter Schaar. Im Hauptberuf amtiert er als oberster deutscher Datenschützer. Aber seit vier Jahren ist er außerdem Bundesbeauftragter für die Informationsfreiheit. Im Januar 2006 war das deutsche Informationsfreiheitsgesetz (IFG) in Kraft getreten. Damit holte die Bundesrepublik mit Verspätung und zögerlich das nach, was in der übrigen demokratischen Welt seit Jahren übliche Praxis ist: Dass die Bürger ein Recht auf Einsicht in amtliche Akten haben, es sei denn die Geheimhaltung ist wirklich zwingend nötig.

Die rot-grüne Koalition hatte das IFG kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit durchgesetzt, gegen den hinhaltenden Widerstand der Berliner Ministerialbürokratie. Jetzt gibt es das Gesetz und manche in den Bundesbehörden mühen sich weiter nach Kräften, es zu ignorieren. So jedenfalls muss man den jüngsten Tätigkeitsbericht von Peter Schaar verstehen.

Er hatte – wie viele Bürger – anfangs gehofft, dass die Bürokratie den vom Absolutismus geerbten Grundsatz des Amtsgeheimnisses langsam überwinden würde. Jetzt muss er feststellen, dass „die Widerstände gegen die neuen Regelungen und damit verbunden ihre sehr restriktive Anwendung eher größer geworden“ seien. Das IFG werde „in manchen Verwaltungen nach wie vor vom Grundsatz her abgelehnt und deswegen nur angewendet, soweit es unumgänglich ist“, bilanziert der Bundesbeauftragte.

Er illustriert das in seinem Bericht an einer ganzen Reihe von Beispielen, in denen Bundesbehörden IFG-Anfragen zu Unrecht abgelehnt hätten. Mehrere dieser Beispiele betreffen Anfragen, die ich gestellt hatte – und die mit verqueren Begründungen abgewiesen wurden.

Zum Beispiel mein Versuch, die Fahrtenbücher der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu inspizieren. Den Antrag lehnte das Ministerium ab, mit aus Schaars Sicht dubiosen rechtlichen Argumenten. Für ihn war „in keiner Weise ersichtlich, wie die Fahrtenbücher der Fahrer der Ministerin" - wie vom Ministerium behauptet - "politische Führungsentscheidungen darstellen sollen um dementsprechend einen Informationszugang auf Grund von Regierungstätigkeit zu verweigern“. Abgesehen davon, dass nirgends im Gesetz stehe, dass die so genannte Regierungstätigkeit vom Einsichtsrecht ausgenommen sei.

Ebenfalls abgelehnt wurden meine Anträge an die Bundesministerien und das Kanzleramt, mit denen ich die Namen der Firmen erbeten hatte, für die Ministerialbedienstete nebenher arbeiten. Die Ministerien argumentierten mit dem Datenschutz. Dabei hatte ich die Namen der betroffenen Mitarbeiter ausdrücklich nicht verlangt. Schaar, wie gesagt selbst Datenschützer, vermochte die mir erteilten Ablehnungsbescheide darum „nicht nachzuvollziehen“. Zumal ausgerechnet das Verteidigungsministerium diese Firmennamen auf eine Abgeordnetenanfrage sehr wohl veröffentlicht hatte.

Dem Finanzministerium, damals noch von Peer Steinbrück (SPD) geführt, erteilte der Bundesbeauftragte sogar eine formelle Rüge, nachdem es mir frech erklärt hatte, der „Arbeitsaufwand“ zur Beantwortung meiner Anfrage wäre zu hoch, sie würde ohnehin nur „zur Befriedigung privater Informationsinteressen“ dienen und sei daher mit dem „gesellschaftlichen Auftrag“ des Ministeriums „unvereinbar“. Dass die Behörden ihre Akten nicht als Privatbesitz, sondern im Auftrag der Öffentlichkeit verwalten, und dass zumal die Presse eine grundgesetzlich garantierte Kontrollfunktion hat – das war im Hause von Peer Steinbrück offenbar unbekannt. Merke: Der gesellschaftliche Auftrag ist das, was den Eigeninteressen der Bürokratie dient.

Schaar erwähnte auch meinen Versuch, vom Bundesverband der AOK Unterlagen zu sieben Vergabeverfahren sowie die Geschäftsordnung und Ausführungsordnung eines Lenkungsgremiums zu bekommen. Abgesehen von einer einzigen Akte zu einem der sieben Aufträge bekam ich nichts davon. Die – teils auch noch geschwärzte - Geschäftsordnung durfte ich mir durchlesen, aber nicht kopieren. Warum? Weil die Papiere angeblich „bei einer Veröffentlichung einen unrichtigen Eindruck hätten erwecken können“. Auch das war ein klarer Gesetzesverstoß. Denn, so Schaar, es „steht grundsätzlich nicht im Ermessen der informationspflichtigen“ Stellen, in welcher Form die Einsicht gewährt wird.

Der Bundesbeauftragte bemängelte mehrere Fälle von offenkundiger Behördenwillkür: „Wiederholt musste ich feststellen, dass Behörden Nachforschungen über die Antragsteller angestrengt hatten oder sich scheinbar von beruflichen oder persönlichen Hintergründen der Antragsteller beeinflussen ließen“, schrieb Schaar. Dabei gilt das Gesetz für jedermann gleich, ganz unabhängig von Person und Beruf.

Abenteuerlich auch das Verhalten des Gesundheitsministerium. Das verlangte von einem Antragsteller die Unterschrift unter eine Verpflichtungserklärung, dass er die Informationen „nur mit Zustimmung“ des Ministeriums öffentlich verbreiten dürfe. Als er sich weigerte, solch eine rechtswidrige Erklärung zu unterzeichnen, verwehrte die Behörde die Einsicht ganz. Als der Mann klagte, brach das Gesundheitsministerium das Beschwerdeverfahren bei Schaar ab – ebenfalls gesetzeswidrig.

Schaar findet übrigens, die Verwaltung sollte das Interesse der Bürger an ihrer Arbeit „als Chance“ sehen, „nicht als Belästigung oder Angriff“.

Bis es so weit ist, bleibt den Bürgern nur eins: Weiter belästigen.

Newsticker