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Hans-Martin Tillack „Der Rücktritt“ – und die Wahrheit

Am Dienstag Abend strahlt der Sender Sat 1 unter dem Titel „Der Rücktritt“ einen Film über die Affäre um Christian Wulff aus. Wulff-Darsteller Kai Wiesinger wirbt für ihn mit der Behauptung, man habe „extrem recherchiert“ und „versucht, der Wahrheit so nahe zu kommen, wie es geht“.

Wenn das so war, ist dieser Versuch bei zumindest einer – wie sie Wiesinger nennt – „Schlüsselszene“ ziemlich spektakulär gescheitert. Markus Lanz hat diese Szene gestern Abend in seiner Talkshow gezeigt (hier circa ab Minute 32.30); Wiesinger und ich waren in der Sendung zu Gast und haben anschließend darüber diskutiert und zwar kontrovers. Es geht um die Ereignisse in dem Regierungs-Airbus vom Typ A 340-400, mit dem am Montag, dem 13. Februar 2012 der damalige Präsident Wulff zum Staatsbesuch nach Italien startete. Begleitet wurde er von einem Tross von etwa 20 Journalisten, ich war dabei.

Glaubt man der Schilderung des Privatsenders, dann sah sich Wulff – der vier Tage später zurücktreten sollte – schon bei der Begrüßung der Reporter einer aufgehetzten, wilden Meute gegenüber. Die Szene beginnt mit einer Figur, von der Markus Lanz gestern zwanglos annahm, dass ich gemeint sei - ein Journalist, der mit einer Zeitung wedelt und ruft: „Jetzt muss er zurücktreten.“ Der fragt darauf den Präsidenten (das einzige Detail, das stimmt): „Treten Sie nur aus Angst vor Mittellosigkeit nicht zurück?“ Vier weitere Kollegen mit teils merkwürdigem Gesichtsausdruck setzen die hochnotpeinliche Befragung fort – bis am Ende wieder mein angebliches Alter Ego nachsetzt: „Wissen Sie noch, in welchen Scheinen Sie Herrn Groenewold das Hotelzimmer auf Sylt bezahlt haben?“

Dieser „Vorfall im Flugzeug gehört zu den belegten Szenen im Film, die sich identisch so abgespielt haben“, behauptete gestern die „Bunte“. Wiesinger sei von ihr, so das Klatschblatt, geradezu „geschockt“, sie offenbare aus seiner Sicht „einen erschreckenden Verfall unserer Gesellschaft“.

Nun, was den Schauspieler so erschüttert hat, ist eine Szene, die sich die Macher des Films größtenteils selbst zusammenphantasiert haben – angefangen mit der vergleichsweise üppigen Frisur, die der „Tillack“ im Film vorweisen kann. Aber „Der Rücktritt“ zeigt nicht nur zu viele Haare, sondern auch zu viele böse Journalisten.

Wahr ist, dass ich an diesem Montag (Redaktionsschluss beim stern) dabei war, eine kleine Story zu komplettieren, in der es um die Frage ging, ob Wulff bei einem Rücktritt Anrecht auf den üblichen Ehrensold habe. Es gab damals Juristen, die das verneinten und die Frage aufwarfen, ob sich der Politiker aus Angst vor „Mittellosigkeit“ an das Amt klammere. Also fragte ich im Flugzeug erst Wulffs Sprecherin Petra Diroll, ob das der Fall sei – sie wischte die Frage weg. Es gehe hier nur um den Staatsbesuch in Italien! Als Wulff zu mir kam, richtete ich die Frage auch an ihn. Er antwortete in der Tat: „Wenn es einer herausfindet, dann Sie. Sie haben doch schon 1000 Fragen gestellt!“

Ein Detail für Klatschreporter: Bettina Wulff stand hinter ihm, klopfte mir auf die Schulter (ich hatte einen Gangplatz, keinen Mittelplatz) und rief: „Herr Tillack!“ Die „Zeit“ beschrieb am 16. Februar 2012 diese Szene mit dem Präsidenten so: „Seine Frau zwinkert dem Frager freundlich zu.“ Was mir übrigens Nachfragen der Kollegen eintrug, ob ich Bettina Wulff näher kenne – etwas, das ich verneinen konnte.

Die Forderung nach Wulffs Rücktritt habe ich ebenso wenig erhoben wie die Frage nach den Scheinen gestellt. Richtig ist, dass Wulff uns Journalisten kurz vor der Landung in Rom für etwa 20 Minuten in den Briefingraum des Airbus bat und länger über die Ziele seiner Italienreise sprach. Richtig ist auch und mehrfach in Artikeln (etwa der „Zeit“ vom 16. Februar 2012) und Büchern beschrieben, dass ich einhakte: „Glauben Sie im Ernst, dass sich jemand dafür interessiert, was Sie in Italien vorhaben?“ Und ich fragte ihn, ob er nicht die Gelegenheit nutzen wolle, sich zu den auftürmenden Vorwürfen zu äußern. Der Kollege Martin Heidemanns von der „Bild“-Zeitung versuchte darauf ebenfalls, die Skandalvorwürfe zu thematisieren, in vorsichtiger Form mit einer Frage auch die Kollegin Tina Hildebrandt von der „Zeit“. Wulff lehnte es ab, darauf einzugehen. Und die Mehrzahl der mitreisenden Journalisten akzeptierte das.

Der MDR-Journalist Michael Götschenberg, der auch im Flugzeug saß, hat das in seinem Buch „Der böse Wulff“ im Detail ausgebreitet und auch einmal in einer anderen Sendung mit Markus Lanz (hier ab Minute 16) geschildert. Wulff habe mit dieser Italien-Reise Normalität inszenieren wollen, aber bewußt auch die Reiseteilnahme der beiden Reporter von „Bild“ und stern akzeptiert, „die die Affäre um den Bundespräsidenten ins Rollen gebracht haben“, so Götschenberg. Die Konfrontation mit den beiden Rechercheuren sei „gewollt“ gewesen. Da die anderen Kollegen insistierende Fragen vermieden, konnte Wulff auch gelassen bleiben – „erstaunlich gelassen“, wie der MDR-Kollege resümierte. Also das glatte Gegenteil dessen, was der Film zeigt.

Als künstlerischer Trick ist das natürlich erlaubt. Im übertragenen Sinn ist es ja nicht falsch, dass es damals neben der Arbeit von Rechercheuren auch Rudeljournalismus gab und auch ungerechtfertigte Häme. Aber Sat 1 behauptet ja mehr: Sie verkaufen die Szene im Flugzeug als die historische Wahrheit.

War es respektlos, dass ich dem Bundespräsidenten die Frage nach der Mittellosigkeit stellte?

Wahr ist, dass ich aus Respekt vor dem Präsidentenamt lange gezögert hatte, bis ich im Februar 2011 – zehn Monate vor dem Beginn der Affärendebatte – Wulff erstmals mit Fragen nach merkwürdigerweise nicht im Grundbuch eingetragenen Kreditgebern für sein neues Haus konfrontiert hatte. Er ließ damals antworten, dass die BW-Bank Darlehensgeber „war und ist“. Als ich im Dezember 2011 lernen musste, dass der Präsident uns in die Irre geführt hatte, hat das meinen Respekt in der Tat drastisch vermindert, so wie eine Reihe weiterer Ausflüchte des ersten Mannes im Staate, die dann folgten.

Ich glaube, dass es das Kennzeichen einer Untertanengesellschaft ist, hohen Amtsträgern Ehrerbietung unabhängig von ihrem Verhalten zu gewähren. In der Demokratie muss sich auch ein Staatsoberhaupt die Achtung der Bürger erarbeiten und erhalten. Der Fall Wulff zeigte uns, dass dies auch misslingen kann.

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