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Hans-Martin Tillack Flirt mit der Lobby

Heute hat es der Bundestag erneut beschlossen: Bestechung im Bundestag? Gibt es nicht. Muss man also auch nicht bekämpfen.

Ja, im Ernst, diese Darstellung ist nur leicht verkürzt. Mit den Stimmen von 319 Abgeordneten – offenbar vor allem von CDU/CSU und FDP - hat das Parlament am heutigen Donnerstag erneut einen Antrag zurückgewiesen, der Abgeordnetenbestechung endlich umfassender unter Strafe gestellt hätte. Und ein Argument, das aus den Reihen von Union und FDP immer wieder zu hören ist, lautet so: Im Bundestag gebe es keine oder kaum Korruption. Also müsse man sie auch nicht verbieten.

Tatsächlich ist die Wahrheit etwas komplexer. Da muss man nur die Lobbyisten fragen. Vor einigen Jahren bekannte ein Berliner Vertreter der US-Firma Burson Marsteller sogar bei einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung, dass er „einen faulen Abgeordneten“ schon „durch ein Abendessen“ auf seine Seite bekommen könne.

Gewiss, viele Abgeordnete sind nicht faul, sondern fleißig. Aber auch in den Büros vieler fleißiger Abgeordneten gehen jede Woche nicht nur die unterschiedlichsten Essenseinladungen ein, sondern immer wieder auch Angebote von noch zweifelhafterer Qualität.

Die Versuchungen, sie beginnen mit Drei-Gänge-Menüs auf Kosten eines Kampfdrohnenherstellers oder Versicherungsverbandes im Luxushotel Adlon, aber reichen auch schon mal bis zum zehngängigen „Flying Buffet“ für Abgeordnete und andere Multiplikatoren bei einem Energiekonzern. Manchmal gibt es beim sogenannten „Parlamentarischen Abend“ eines Industrieverbandes auch Zigarren und teure Spirituosen gratis - was einigen Parlamentariern gut gefällt.

Wem dies alles noch zu harmlos klingt, der muss wissen, dass manche Abgeordnete auch davon berichten können, dass Firmen ihnen schon mal VIP-Tickets zum Fußballspiel im Wert von einigen hundert Euro andienten. Oder dass ein Rüstungsunternehmen dem Abgeordneten aus dem Verteidigungsausschuss angeboten habe, ihn mitsamt Ehefrau zum Luftfahrtsalon nach Le Bourget bei Paris zu bringen – inklusive Limo-Service zum Flughafen, Flug und Übernachtung.

Natürlich werden Abgeordnete aus dem Verteidigungs- oder Haushaltsausschuss mehr von der Industrie umworben, als Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Und selbstverständlich gilt, was der Grünen-Verteidigungspolitiker Omid Nouripour sagt: „Wer das meiste Geld hat, macht die dicksten Angebote. Und das ist nicht Amnesty International.“

Ein anderer Abgeordneter vergleicht den Mechanismus mit einem Flirt. Wer auf einer Party anbandeln wolle, lade ja auch nicht gleich plump ins eigene Schlafzimmer ein. Genauso nehme sich der Lobbyist den Parlamentarier schrittweise vor. Erst mal zum Essen einladen, dann sehe man schon: Bleibt der länger? Auch auf eine Zigarre? Und spätestens beim Cognac würden dann „Gemeinsamkeiten geschaffen“.

Manche sagen, dass die Debatte um die Affären des zeitweiligen Präsidenten Christian Wulff einen dämpfenden Effekt auf die Generosität der Lobbyisten hatte. Aber spätestens seit es Mode geworden ist, Wulffs Fehltritte zu Kavaliersdelikten zu erklären, haben es die Interessenvertreter natürlich wieder leichter.

Wo liegt die Grenze? Offiziell gibt es keine. Der SPD-Abgeordnete Marco Bülow und sein Grünen-Kollege Gerhard Schick haben kürzlich einen Ehrenkodex vorgestellt, der seine Unterstützer verpflichtet, keine Geschenke oder Essenseinladungen im Wert von über 100 Euro anzunehmen. Aber diesen Kodex unterstützen bisher ganze 33 Abgeordnete. Also wenig mehr als fünf Prozent der Bundestagsmitglieder.

Der Bundestag selbst hat für das Einladungs-, Reise- und Geschenkewesen bis heute keine klaren allgemeinen Regeln erlassen. Und auch laut Strafgesetzbuch macht sich eben nur der strafbar, der einen Abgeordneten vor einer Parlamentsabstimmung besticht. Die Dankeschön-Zahlung hinterher ist schon nicht mehr kriminell, genauso wenig wie Bakschisch für den Abgeordneten, der sich in der Fraktion oder dem Ausschuss für die Interessen des Gebers einsetzt.

Die jetzige Bestimmung zur Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch werde „vielfach als praktisch bedeutungslose "symbolische Gesetzgebung’ angesehen", kritisierte schon vor sieben Jahren der Bundesgerichtshof. Es handele sich um einen Paragraphen, der der Öffentlichkeit nur "vortäuscht", dass Abgeordnete anderen Bürgern "wenigstens annähernd gleichgestellt wären".

Seit bald zehn Jahren dauert die Debatte nun an. Am 9. Dezember 2003 hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung das UN-Abkommen gegen Korruption unterzeichnet. Seitdem ist der Bundestag aufgefordert, Abgeordnetenbestechung umfassender unter Strafe zu stellen, um das Abkommen ratifizieren zu können. Und seitdem scheiterten alle bisherigen Versuche einzelner Abgeordneter oder Fraktionen, den Missstand zu beseitigen.

Zuletzt hatte der CDU-Rechtspolitiker Siegfried Kauder Anfang März mit Kollegen von SPD, Grünen und Linken einen gemeinsamen Gesetzesentwurf vorgestellt. Doch Kauders Fraktion – geführt von seinem Bruder Volker – war diese Idee von Anfang an suspekt. Zeitweise war Siegfried Kauder optimistisch, zumindest einige Christdemokraten auf seine Seite zu ziehen. Doch am Ende blieb er in der CDU/CSU-Fraktion allein – so kurz vor der Bundestagswahl ist Geschlossenheit offenkundig alles.

Natürlich war es auch Teil des Wahlkampfs, dass die Fraktionen von SPD und Grünen nun heute kurz vor der Sommerpause ihre Gesetzentwürfe gegen die Parlamentskorruption doch noch als Antrag einbrachten, als Änderungsanträge angehängt an den Gesetzentwurf „gegen unseriöse Geschäftspraktiken“. Keiner war verwundert, dass der Versuch scheiterte.*

Aber wird es den Abgeordneten im Wahlkampf helfen, wenn sie den Eindruck hinterlassen, nicht in der Lage zu sein, im eigenen Haus aufzuräumen? Nein, ganz sicher nicht.

* In einer früheren Version hatte es fälschlich geheißen geheißen, dass der Kauder-Antrag abgestimmt wurde.

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