Nein, Hans-Hermann Tiedje macht keine gemeinsame Sache mit Mädchenhändlern oder Drogendealern.
Das sagt er selbst, und das wollen wir ihm gerne glauben. Vergangene Woche veröffentlichte das Portal Meedia ein ausführliches Interview mit dem ehemaligen „Bild“-Chefredakteur, der heute Chef der PR- und Lobbyagentur WMP Eurocom ist. Aber halt! So wenig wie er für Mädchenhändler arbeitet, so wenig ist Tiedje nach eigenen Worten Lobbyist: „Lobbyisten – genau das sind wir nicht!“ Das sei nur so eine „Halluzination“ von diesem „Typ vom stern“. Tiedje wörtlich: „Wie heißt der noch? Tillack, richtig.“
Der Typ vom stern, also ich, teilt diese Halluzination freilich offenkundig mit Tiedjes beiden Vorstandskollegen bei WMP. Der eine, Klaus-Peter Schmidt-Deguelle, erklärte es kürzlich für „längst überholt“,zwischen Agenturen für PR und solchen für „Public Affairs“ (also Lobbying) zu trennen. Stattdessen brauche es „Kommunikationsagenturen“, die „parallel Politik und Medien bespielen können“. Und der Anfang diesen Jahres bei WMP eingestiegene Vorständler Michael Inacker, der früher als Lobbyist bei der Handelskette Metro gearbeitet hat, sieht auch bei WMP seine Aufgabe darin, „zwischen Wirtschaft und Politik kommunikative Brücken zu schlagen“.
Steinbrück-Lob in der „Bild“
Nun ist Lobbying in diesem Land nicht verboten. Lobbyisten gehen nicht automatisch einer anrüchigen Tätigkeit nach. Auch bei Hans-Hermann Tiedje besteht das Problem nicht darin, dass er Lobbyist ist oder „Medienmanager“ (was ihm besser gefällt) - sondern wie sich bei ihm die Sphären gelegentlich vermischen.
„Wir versuchen nicht, Politiker zu beeinflussen“, versichert Tiedje. Aber loben kann man sie im Einzelfall schon mal. Zum Beispiel den SPD-Politiker Peer Steinbrück. Den vermittelte WMP Eurocom im März 2012 als Redner für eine Veranstaltung der Krankenkasse KKH-Allianz. 15 000 Euro sprangen für Steinbrück dabei heraus. Im Oktober 2012 – der Sozialdemokrat war inzwischen Kanzlerkandidat seiner Partei und wegen seiner vielen bezahlten Reden in die Kritik geraten –verteidigte ihn Tiedje in einem Kommentar der „Bild“-Zeitung. Steinbrück habe „bei seinen Vortragshonoraren offenkundig nichts falsch gemacht“. Er habe „nicht gelogen“, er habe „nichts verschwiegen“ und „niemanden betrogen.“ Nein, so Tiedje, Steinbrück sei einfach das Opfer einer „Gesellschaft des Neides geworden“.
„H.H. Tiedje – Mann in undurchsichtiger Mission“, kommentierte Meedia den Vorgang damals, zu dem sich Tiedje selbst nicht äußern will. Er darf öfters auf Seite 2 des Boulevardblattes mit einem „Bild-Kommentar“ auftreten. Die Zeitung erwähnt dabei nie, dass der 65-Jährige im Hauptberuf als Berater für zahlende Kunden unterwegs ist. Auch unter seinem Pro-Steinbrück-Kommentar fehlte jeder Hinweis auf eine Doppelrolle des gelernten Journalisten.
Das stieß im Fall Steinbrück sogar dem Axel-Springer-Verlag auf, in dem „Bild“ erscheint. Zwischen Tiedje und Springer bestehe „die klare Absprache, dass bei seinen Gast-Kommentaren für Bild kein Interessenkonflikt mit seiner Beratungstätigkeit bestehen darf“, sagt Verlagssprecher Tobias Fröhlich heute (ich hatte dort am 1.September angefragt, also ein paar Tage vor Tiedjes Interview bei Meedia). Weil bei dem Steinbrück-Kommentar „im Nachhinein Zweifel an der Einhaltung dieser Absprache“ aufgetreten seien, habe man „die Zusammenarbeit daraufhin über ein Jahr lang beendet“.
Ein „Retainer“ von BMW
Doch im Januar 2014 war Tiedje wieder Gastkommentator. „Bild“-Herausgeber Kai Diekmann war inzwischen von einem einjährigen Auslandsaufenthalt im Silicon Valley zurückgekehrt. Zu dem „Kai“, das sagtTiedje selbst, habe er ein „sehr gutes Verhältnis“. Der sei „hellwach und ein Glück für das Haus Springer“. Nur würde er ihm, so Tiedje, „zu einem anderen Bart raten“.
Für den WMP-Chef dürfte es geschäftlich nicht von Schaden sein, wenn ihm ein guter Draht zur „Bild“-Zeitung nachgesagt wird. Sein Partner Inacker betonte kürzlich öffentlich, wie wichtig es für Unternehmen sei, nicht nur in den Politikteilen der großen Tages- und Wirtschaftsmedien die Diskussion mitzubestimmen, sondern auch auf „der tonangebenden Seite 2 der Bild“-Zeitung. Auf der, wie gesagt, Tiedje öfter mal kommentiert.
Zu den Kunden von WMP Eurocom gehörten oder gehören der Autobauer Fiat, Vattenfall, die Regierungen der Türkei und von Serbien. Im Fall des französischen Ölkonzerns Total blieb es bei dem Versuch, eine Kundenbeziehung anzubahnen. Dagegen unterhält – oder unterhielt bis vor nicht allzu langer Zeit – auch die BMW AG einen Pauschalvertrag („Retainer“ im Branchen-Slang) mit WMP. Insider sprechen von einer jährlichen Summe von 300 000 Euro. Auf Fragen nach dem Vertrag reagierten weder BMW noch WMP.
Brücke in die Halbwelt
Dass das Image von Tiedje etwas schillert, liegt nicht nur an kraftmeiernden Interviews, sondern auch daran, dass er mitunter die Brücke schlägt zwischen großen Namen der deutschen Industrie und einer merkwürdigen Halbwelt aus ehemaligen Stasi-Leuten. Zu seinen Kompagnons zählte jahrelang Axel Hilpert, der frühere Antiquitäten-Chefeinkäufer der DDR-Staatssicherheit. Im Mai 2014 bestätigte der Bundesgerichtshof, dass Hilpert des Betrugs mit öffentlichen Fördergeldern für sein Resort Schwielowsee bei Potsdam schuldig sei, verwies den Fall aber zu einer erneuten Verhandlung an das Landgericht Frankfurt (Oder). Hilpert selbst bestreitet den Betrugsvorwurf.
Noch dieser Tage war ein anderer Mann mit Stasi-Vergangenheit in den WMP-Büros nahe dem Berliner Tiergarten tätig. Die Rede ist von Klaus-Dieter Kimmel, einem früheren Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Nach der Wende holte Tiedje ihn zur „Bild“. Als die Stasi-Sache aufflog, musste Kimmel die Zeitung wieder verlassen; dann stellte Diekmann ihn erneut ein, um sich einige Monate später doch wieder von ihm zu trennen.
Kimmel spielte eine Rolle in einer Sache, über die ich vor zwei Wochen schrieb. Der Tiedje-Freund war vor seiner WMP-Zeit aktiv bei der Postille „Tolles Thüringen“, die kurz vor der dortigen Landtagswahl 2009 gratis an alle Haushalte verschickt wurde und allgemein als verdeckte Wahlhilfe für die regierende CDU verstanden wurde. Kimmel tauchte bei „Tolles Thüringen“ nicht im Impressum auf, führte aber für das Blatt ein großes Interview mit der Gattin des damaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus und war nach eigenen Worten „oftmals“ als „Berater“ in der Redaktion.
Kimmel wie WMP beteuern, dass er bei „Tolles Thüringen“ nicht im Auftrag von WMP tätig war. Bei dem Medienprojekt, zu dem auch eine Website gehörte, spielte der Hamburger Klinikunternehmer Ulrich Marseille eine Rolle – und der bemühte sich ungefähr zeitgleich mit dem Start von „Tolles Thüringen“ um Fördermittel der Landesregierung in Höhe von 40 Millionen. Die Landesvorsitzende der Linkspartei, Susanne Hennig-Wellsow nannte das nach unserer Veröffentlichung eine „Staatsaffäre ersten Ranges“.
Als Chef seines Klinikunternehmens war Marseille im August 2011 zurückgetreten, nachdem ihn ein Gericht in Sachsen-Anhalt wegen Bestechung verurteilt hatte. Bei WMP ist er bis heute stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates – so wie Tiedje umgekehrt bei den Marseille-Kliniken im Aufsichtsrat sitzt. Für die „Übernahme der kompletten Kommunikation“ des Klinikbetreibers bekam Tiedjes WMP zumindest zeitweise 300 000 Euro pro Jahr – also den gleichen Betrag wie offenbar von BMW.
Aber wie gesagt: Bei „Tolles Thüringen“ hat WMP „in keiner Weise mitgewirkt“, wie die Firma versichern lässt.
Wir wollen das mal glauben. Es hätte ja auch Tiedjes ehernem Prinzip widersprochen - gar nicht erst zu versuchen, Politiker zu beeinflussen.
P.S.: Nachdem Tiedje mich persönlich in seinem Interview auf Meedia attackiert hat, meint er jetzt offenbar, er könne nun weitere Berichterstattung über ihn als Ausdruck einer Privatfehde abtun. Auch eine interessante PR-Strategie.
Hans-Martin Tillack können Sie auf Twitter folgen unter: @hmtillack