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Hans-Martin Tillack Sigmar Gabriel und die Finanz-Alchemisten

Es werde „keine Finanzalchemie“ geben, versprach Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen; ein BASF-Vertreter machte sich für Fracking und Gentechnik stark – Szenen einer Expertenkommission zum Thema „Stärkung von Investitionen in Deutschland“, die Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Sommer einberufen hatte. Zu den Teilnehmern zählen Unternehmensvertreter, Gewerkschafter und Lobbyisten. Am morgigen Dienstag soll das Gremium seinen Abschlussbericht beschließen. Aber warum eigentlich in dieser Zusammensetzung?

Das Problem, das die Kommission diskutiert, ist real: Sowohl der deutsche Staat wie die privaten Unternehmen investieren seit Jahren zu wenig. Nicht nur verfallen Schulen und bröckeln Brücken (ein großer Report darüber ist im aktuellen stern zu lesen); auch die IT-Infrastruktur wird so schleppend ausgebaut, dass laut einem Mitglied der Kommission Deutschland etwa mangels moderner Glasfaserkabel in eine „digitale Lücke“ zu stolpern droht.

Gabriels Ministerium spricht von „einem offenen und transparenten Prozess“, in dem nun Wege gefunden werden sollen, wie man privates Kapital mobilisieren kann – etwa für bisher staatsfinanzierte Infrastruktur wie Autobahnen oder Kitas.

Aber was heißt schon transparent? Natürlich tagt die Kommission hinter verschlossenen Türen; ihre Protokolle und Papiere sind als „vertraulich“ markiert. Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sitzt dem Gremium vor. Liest man die Mails, die er regelmäßig an die Mitglieder versendet, beschleicht einen ein bisschen mulmiges Gefühl. Denn unter den Angeschriebenen sind eben Leute wie der Deutschbanker Fitschen, der Chef des Versicherungskonzerns Ergo, Torsten Oletzky, und außerdem Lobbyisten wie Wolfgang Niedermark (BASF) und Markus Kerber vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Vertreter von Allianz und Siemens sind ebenfalls dabei, sowie Gewerkschafter wie Verdi-Chef Frank Bsirske.

Ihm seien „zu viele Interessenvertreter an Bord“, kritisierte dieser Tage in der „Süddeutschen Zeitung“ ausgerechnet der wirtschaftsliberale Ökonomieprofessor Lars Feld, ebenfalls Teilnehmer der Runde. Fratzscher, ein früherer EZB-Bediensteter, verteidigt dagegen die Zusammensetzung der Kommission. Sie erhöhe „die Chancen, dass unsere Vorschläge konstruktiv und umsetzbar sein werden“.

Und so durfte dann in einer Sitzung ein BASF-Vertreter für Fracking und Gentechnik werben – weil die „fehlende Akzeptanz neuer Technologien“ ein „Investitionsrisiko“ sei.

Zugleich klingt nicht alles falsch, was die Leute aus der Wirtschaft in die Diskussion einbrachten. Bernd Fislage von der Deutschen Bank wies in einer Präsentation vom 17. November 2014 daraufhin, dass die „Knappheit öffentlicher Mittel“ auch „durch politische Entscheidungen und Maximen“ verursacht worden sei. Die Steuereinnahmen des Bundes seien ja eigentlich „auf Rekordniveau“, aber die Politik habe sich eben für eine „Priorisierung konsumtiver (ggü. investiver) Ausgaben“ entschieden.

Das gilt nicht nur für die jüngsten Wahlgeschenke der Großen Koalition – etwa die Rente mit 63 – sondern auch für die Finanzlage der Gemeinden. Ihre Budgets werden zunehmend durch Sozialausgaben aufgefressen, zu deren Zahlung sie per Gesetz verpflichtet sind. Dass die Kommunen „in den letzten Jahren ihre Infrastruktur auf Verschleiß“ fuhren, so Fratzscher in einem Entwurf, habe seine Ursache in einer „Ausweitung der kommunalen Aufgaben im Bereich der sozialen Sicherung“.

Fiskalpakt und Schuldenbremse tun den Rest – trotz der sprudelnden Steuern ist kein Geld da. Letztlich diene die Arbeit der Kommission nur dazu, „die Schuldenbremse zu umgehen“, räumt ein Teilnehmer hinter vorgehaltener Hand ein. Zugleich will Gabriel den großen Versicherungskonzernen aus der Klemme helfen. Investieren sie heute in Bundesanleihen, erzielen sie wegen Eurokrise und EZB-Zinspolitik nur Mickerzinsen. Deshalb sollen nun Vehikel geschaffen werden – etwa eine „Bundes-Autobahnen Infrastrukturgesellschaft“ oder ein „Regionaler Infrastrukturfonds“ – über die Privatanleger Kapital für den Bau von Fernstraßen oder auch Kitas einsetzen können. Die Autobahngesellschaft soll laut den Planspielen sogar eigene Kredite aufnehmen können: „Um die dringend notwendigen Investitionen kurzfristig tätigen zu können, ist es notwendig, dass die Gesellschaft das Recht erhält, sich begrenzt zu verschulden“, heißt es in einem Entwurf.

Eine höhere Rendite für Versicherungen und Banken – das heißt aber im Umkehrschluss höhere Kosten für die Bürger. In einem Papier für die Kommission wies Lars Feld explizit auf dieses Problem hin: Man werde „sich fragen müssen, durch welche Einnahmen die Renditeerwartungen privater Investoren befriedigt werden können“. Die Antwort könne „eine stärkere Gebührenfinanzierung öffentlicher Infrastruktur“ sein, nicht nur über eine Autobahnmaut, sondern auch bei Bildungs- oder sozialen Einrichtungen. Feld merkte dazu an: „Die Bundesregierung muss sich allerdings bewusst sein, dass höhere Abgaben in Form von Gebühren ohne kompensierende Steuersenkung von den Bürgern als Reduktion ihrer verfügbaren Einkommen aufgefasst werden.“

Auch Fratzscher selbst plädiert in einem Entwurf für „eine verursachergerechte Anlastung der Kosten“ des Autobahnbaus, eine „Beteiligung aller Verkehrsteilnehmer an der Nutzerfinanzierung“ und konkret für „die Einführung einer nutzungsbasierten Maut für alle Fahrzeugkategorien in Deutschland“. Das hieße dann wohl ein anderes System als die pauschale Plakette nach dem Modell von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). „Besser“ als die Vignette wäre eine „fahrleistungsabhängige Maut“, heißt es explizit in einem Beitrag des Finanzministeriums für die Kommission.

Keine „Finanzalchemie“? Natürlich geht es genau darum: Aus Blech soll irgendwie Gold werden. Man wolle eine „Pipeline“ schaffen, über die man mehr Geld in das System pumpen könne, bekennt ein Teilnehmer.

Bereits Ende Februar warnte ein Rechnungsprüfer in der „Welt“ vor allzu viel Finanzakrobatik. „Neue Finanzierungswege zur Stärkung der öffentlichen Investitionen dürfen nicht zur Intransparenz der öffentlichen Haushalte führen", mahnte Christoph Weiser, der Chef der Konferenz der Rechnungshöfe von Bund und Ländern. Hier drohe „die Gefahr der Umgehung der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse“.

Und warum lässt es eigentlich der Bundestag mit sich machen, dass hier eine grundsätzliche Neuausrichtung der deutschen Haushaltspolitik verhandelt wird, ohne dass ein einziger Volksvertreter dabei ist? Aber Lobbyisten und Konzernvertreter, die ihre eigenen Interessen haben.

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