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Hans-Martin Tillack Wie schönfärberisch ist das Wulff-Buch?

Er habe ein „seriös recherchiertes Buch“ vorgelegt, sagt Christian Wulff. Andererseits gilt eine alte Verlegerweisheit: Bücher ohne Fehler gibt es nicht.

Wie sieht es mit "Ganz oben, ganz unten", dem am Dienstag vorgestellten Werk des gefallenen Bundespräsidenten aus? Wir haben einen kleinen Faktencheck gemacht.

In den letzten Wochen seiner Amtszeit als Präsident war der Niedersachse ja immer wieder kritisiert worden, er verteidige sich mit irreführenden Aussagen und Halbwahrheiten.

Wulff selbst schießt nun zurück: Nicht er, sondern die Journalisten hätten gelogen. Immer wieder seien „Falschmeldungen“ in den Medien verbreitet worden. „Vieles war frei erfunden“, schreibt er und beklagt „Gerüchte, Halbwahrheiten und Unwahrheiten der Bild-Zeitung“. Er sei „einer Schmutzkampagne ausgesetzt“ gewesen, „deren Niederträchtigkeit heute wohl kaum noch jemand bestreitet.“

Belege für diese Aussage? Weitgehend Fehlanzeige. Den einzigen größeren Fall einer Falschmeldung, den Wulff in seinem Buch erwähnt, betrifft einen Bericht der „Bild“-Zeitung vom 8.2.2012. Dort war in der Tat zu Unrecht der Eindruck erweckt worden, Wulffs Freund David Groenewold habe versucht, bei einem Hotel in Sylt Originale von Rechnungen verschwinden zu lassen.

Die übergroße Mehrzahl der Berichte in großen Blättern wie dem „Spiegel“ oder der „Bild“ wurden von Wulff aber nie widerlegt. Keine einzige stern-Enthüllung über Wulff wurde je vor Gericht angegriffen, weder von ihm selbst, noch von seinen Freunden aus der Wirtschaft, über die wir Neues ans Licht brachten.

Dennoch versichert Wulff nun in „Ganz oben, ganz unten“, dass seit seinem - inzwischen rechtskräftigen - Freispruch vor dem Landgericht Hannover „auch der letzte verbliebene Vorwurf ausgeräumt“ sei. Da kann man ihm vorhalten, er verwechsele strafrechtliche und politische Vorwürfe. Auch in fast allen anderen Politskandalen der Nachkriegszeit, die in Rücktritte mündeten, gab es ja keine Verurteilung vor Gericht.

Einige Aussagen, die Wulff in seinem Buch zu dem Ermittlungsverfahren macht, sind bereits öffentlich auf Widerspruch gestoßen. So insinuiert der Christdemokrat, dass sein langjähriger Rivale, der damalige Justizminister Bernd Busemann (CDU) dafür verantwortlich war, dass die Staatsanwälte in Hannover am 16. Februar 2012 beantragten, Wulffs Immunität aufzuheben – was seinen Rücktritt erzwang.

2008 habe er Busemann zum Justizminister gemacht, rekapituliert Wulff: Das war „eine für mich folgenreiche Fehlentscheidung, wie sich spätestens am 16. Februar 2012 herausstellte“. Die Staatsanwälte hätten die Aufhebung seiner Immunität nur gestellt, „weil es politisch offenbar so gewollt war“ – auch von Busemann. Busemann widersprach dem Vorwurf am Mittwoch. Er habe den Antrag zwar am Ende unterschrieben, sei an der Entscheidung aber nicht beteiligt gewesen und habe auch keinerlei Weisungen erteilt.

Eindeutig falsch ist eine Klage, die Wulff über die Staatsanwälte führt. „Drei ausländische Staaten wurden um Rechtshilfe gebeten“, schreibt er – und will so einen angeblich übertriebenen Ermittlungseifer belegen. Tatsächlich hatten diese Ersuchen aber gar nichts mit Wulff zu tun. Sie betrafen das parallele Verfahren gegen den Eventmanager Manfred Schmidt, der Wohnsitze in Frankreich, Spanien und der Schweiz unterhielt. Der ermittelnde Staatsanwalt Clemens Eimterbäumer hatte Wulffs Kritik an den drei Rechtshilfeersuchen deshalb bereits im Gerichtssaal als „falsch“ und als „Prozesspropaganda“ bezeichnet. Der Politiker nahm sie trotzdem erneut in sein Buch auf.

Natürlich spielt der umstrittene Kredit für das inzwischen verkaufte Haus in Großburgwedel eine wichtige Rolle in dem Buch. An ihm entzündete sich Anfang Dezember 2011 die Affärendebatte, auch wegen Recherchen des stern.

Wulffs Version lautet so: Auf seine eigene „Veranlassung“ habe dass Präsidialamt Anfang Dezember 2011 „Bild“-Redakteur Martin Heidemanns sowie mir als stern-Reporter erstmals Einsicht in den Vertrag mit der Unternehmergattin Edith Geerkens über seinen Hauskredit gegeben. Soll heißen: Seht her, so transparent war ich.

Was Wulff weglässt: Noch im Februar 2011 ließ er bei einer ersten stern-Anfrage zu dem Hauskredit irreführend antworten. Kreditgeber „war und ist“ die BW-Bank, behauptete er damals. Diese Antwort an den stern war „glatt gelogen“, urteilte später der „Spiegel“. Richtig ist auf alle Fälle: Erst als Wulff durch weitere Recherchen Anfang Dezember 2011 unter Druck geriet, legte er den Vertrag offen.

Er selbst schreibt nun, dass er im Dezember 2011 zwar den Vertrag vorzeigen ließ, aber den Name von Edith Geerkens gar nicht publik werden lassen wollte – um ihre Privatsphäre zu schützen. Nur unter dieser Bedingung habe sein Sprecher Olaf Glaeseker die Einsicht gewährt. Tatsächlich hatte ich bei meinem Termin mit Wulffs Sprecher ausdrücklich angekündigt, dass ich den Vertrag nur unter der Bedingung einsehen wolle, dass wir die gewonnenen Informationen auch nutzen könnten. Glaeseker akzeptierte das.

Und noch eine zweifelhafte Behauptung zu dem Hauskredit enthält das Buch: Für den habe Edith Geerkens Zinsen von „vier Prozent“ erhalten, „mehr als sie bei einer Bank bekommen hätte“. Wulff belegt diese Aussage nicht; sie darf als fragwürdig gelten. Der stern hatte am 13.Dezember 2011 die Einschätzung der renommierten Frankfurter FMH-Finanzberatung veröffentlicht. Nach den von ihr umfassend gespeicherten Kreditkonditionen privater Banken aus dem Herbst 2008 wäre das Darlehen auf dem freien Markt für Wulff damals – kurz nach der Lehman-Pleite - deutlich teurer gekommen.

Der Tenor bei Wulff geht so: Der Hauskredit war in Ordnung, die Sylt-Geschichte von der „Bild“ manipuliert – und daneben sei es eigentlich nur um seinen Anruf auf der Mailbox von „Bild“-Chef Kai Diekmann gegangen. Und natürlich um ein albernes Bobby Car.

Ende Januar 2012 will Wulff, so schreibt er es, sogar den Eindruck gehabt zu haben, „das Schlimmste hinter mir zu haben“. Er beruft sich auf einen Bericht des „Spiegel“ vom 23. Januar 2012. Drei Tage später erschien jedoch ein großer Bericht des stern, der viele Wellen schlug - über das enge Verhältnis, das der Eventmanager Manfred Schmidt mit Wulff und dessen Sprecher Glaeseker unterhielt („Schnulligate“).

In dem Stück ging es auch um eine Siegesfeier, die der Eventmanager Manfred Schmidt in dessen luxuriösem Penthouse am Brandenburger Tor in Berlin am Abend von Wulffs Wahl zum Präsidenten ausrichtete. Sie wird heute von Wulff in geschönter Weise geschildert. Er habe dafür nur „einige Namen auf der Gästeliste“ ergänzt, beteuert er in seinem Buch. Richtig ist: Wulff hatte Schmidt über 80 Personen als Gäste vorgeschlagen. Seine Tochter Annalena und FDP-Mann Philipp Rösler waren dann dabei, als Wulff hier die erste Rede seiner Amtszeit hielt, sogar vor Lobbyisten, die für ihre Teilnahme bezahlten.

Das Thema „Schnulligate“ machte damals auch deshalb Schlagzeilen, weil die Staatsanwaltschaft begonnen hatte, gegen Glaeseker und Schmidt zu ermitteln und Ende Januar 2012 sogar das Büro des ehemaligen Wulff-Sprechers im Schloss Bellevue durchsuchen ließ.

Wulff ließ seinerzeit übrigens erklären, er habe von den zahlreichen Gratis-Urlauben von Glaeseker auf Anwesen von Schmidt in Frankreich und Spanien nichts gewusst. Anfang dieses Jahres räumte der Politiker dann vor Gericht ein, dass er darüber sehr wohl frühzeitig informiert war. Warum er seinen langjährigen Sprecher zunächst öffentlich im Regen stehen ließ, erklärt Wulff in seinem Buch nicht.

Wie der Herr, so das Gscherr – der Fall Glaeseker verstärkte Ende Januar 2012 den Eindruck des Publikums, dass mit Wulff ein unguter Geist in das Schloss Bellevue eingezogen war. Doch glaubt man nun seiner Selbstrechtfertigung, dann zählten all diese Vorwürfe nicht. Ohne den Antrag der Staatsanwälte, seine Immunität aufzuheben, könnte er heute noch Schlossherr in Bellevue sein.

Interessanterweise hatte Wulff selbst in seiner Rücktrittsrede am 17. Februar 2012 noch ganz anders argumentiert. Es brauche „einen Präsidenten, der vom Vertrauen nicht nur einer Mehrheit, sondern einer breiten Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger getragen wird“, erklärte er da. Weil „dieses Vertrauen, und damit meine Wirkungsmöglichkeiten, nachhaltig beeinträchtigt sind“, sei es ihm „nicht mehr möglich, das Amt des Bundespräsidenten nach innen und nach außen so wahrzunehmen, wie es notwendig ist“.

Dieser Aussage von Christian Wulff würden wohl heute noch viele zustimmen. Und selbst sein traditioneller publizistischer Unterstützer Heribert Prantl stuft „Ganz oben, ganz unten“ heute in der „Süddeutschen Zeitung“ als „schönfärberisch“ ein: „Aber in der nach oben offenen Skala der autobiografischen Schönfärberei rangiert sein Buch eher in den unteren Regionen“, meint Prantl.

Mag sein.

P.S.: Sogar für Fußballfans enthält das Buch eine kleine Passage. Und auch hier tun sich Fragen auf. Wulff greift die „Welt am Sonntag“ wegen eines Artikels vom Mai 2014 an. Das Blatt habe „wahrheitswidrig“ berichtet, er habe 2010 als Präsident „zugunsten“ einer WM-Vergabe an Qatar auf FIFA-Chef Sepp Blatter und Franz Beckenbauer eingewirkt. Tatsächlich hatte das Blatt nicht von einem Anruf Wulffs bei Beckenbauer, sondern beim damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger berichtet. Nach Zwanzigers eigenen Worten fragte Wulff ihn damals nach den Chancen von Qatar. Diesen Anruf dementierte der Ex-Präsident in seinem Buch nicht.

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