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Hans-Martin Tillack Wulffs Scheindementi

Einer der ältesten Tricks im Politgewerbe ist das Scheindementi. Einige fallen immer darauf herein, auch in der Causa Wulff.

Scheindementis funktionieren so: Gegen einen Politiker oder eine Behörde kommt ein Vorwurf auf, der nicht zu bestreiten ist. Also reagiert die Pressestelle, indem sie irgend etwas bestreitet, was gar nicht behauptet wurde.

Gestern war es Christian Wulffs Präsidialamt, das diesen Kunstgriff anwandte. Der Anlass: Wir hatten vorab eine Nachricht vermeldet, die wir im heutigen stern ausführlicher behandeln. Es geht um die kostenlosen Urlaubsaufenthalte, die der Eventmanager Manfred Schmidt wiederholt Olaf Glaeseker gewährte, dem langjährigen Sprecher und Vertrauten von Bundespräsident Christian Wulff.

Wie so oft, gab es nun auch in diesem Fall Zweifel an früheren Aussagen des Präsidenten. Als der stern kurz vor Weihnachten erstmals über die Vorwürfe gegen Glaeseker berichtete, ließ Wulff schriftlich erklären, er habe dazu „keine Kenntnisse“. Doch tatsächlich – das war unsere gestrige Meldung – hatte das Präsidialamt von den Vorwürfen bereits Ende August 2010 erfahren, also vor eineinhalb Jahren. Damals stellte ein Journalist der Süddeutschen Zeitung Glaeseker schriftliche Fragen zu angeblichen Gratisurlauben bei Schmidt. Glaeseker wimmelte den Kollegen damals ab: Ja, es gebe „Besuche“ bei Schmidt. Aber das sei alles rein privat.

Nach Unterlagen, die dem stern vorliegen, verfasste Glaeseker am 29. August 2010, kurz nachdem der SZ-Reporter gefragt hatte, überdies eine „Sachverhaltsdarstellung“ für Lothar Hagebölling, den Leiter des Präsidialamtes. Auch in diesem Papier bestätigte Glaeseker zwar die Urlaubseinladungen, stellte seine Beziehung zu Manfred Schmidt aber ebenfalls als privat dar.

In unserem Artikel ließen wir explizit offen, ob Glaeseker diese Sachverhaltsdarstellung dann auch an Hagebölling verschickte. Auf unsere Fragen dazu – wie insgesamt zu den langjährigen engen Beziehungen zwischen Eventmanager Schmidt, Christian Wulff und dessen Vertrautem Glaeseker – hatte das Präsidialamt uns nämlich jede Antwort verweigert. Weil es laufende Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Glaeseker und Schmidt gebe, habe das Präsidialamt laut Pressegesetz das Recht, Auskünfte zu verweigern, sagt Wulffs Sprecherin Petra Diroll. Wohlgemerkt, sie beruft sich auf das Recht zur Auskunftsverweigerung, nicht die Pflicht. Die Staatskanzlei in Hannover, der Wulff lange als Ministerpräsident vorstand, sieht sich durch die Ermittlungen nicht gehindert, Auskünfte über den langjährigen niedersächsischen Staatssekretär Glaeseker zu geben.

Wulff dagegen, der vor einem Monat noch „neue Maßstäbe der Transparenz“ setzen wollte, spielt lieber Verstecken. Zu einem richtigen Versteckspiel gehört natürlich auch, diejenigen in die Irre zu führen, die einem auf der Spur sind. Einige Stunden, nachdem unsere gestrige Meldung auf dem Markt war, verschickte Diroll an Journalistenkollegen einen einzigen Satz: „Dem Bundespräsidialamt liegt keine Sachverhaltsdarstellung des früheren Sprechers, Herrn Olaf Glaeseker, an den Chef des Bundespräsidialamts, Herrn Lothar Hagebölling, zu angeblichen Urlaubseinladungen vor.“

Das war ein klassisches Scheindementi. Diroll dementierte etwas, was wir nicht behauptet hatten. Sie dementierte nicht, dass es Ende August 2010 die SZ-Anfrage gab. Und sie verweigerte Antworten auf sich zwingend ergebene Nachfragen – zum Beispiel auf die Nachfrage, wer im Präsidialamt außer Glaeseker im Sommer 2010 von der Journalistenanfrage und den Vorwürfen erfuhr. Hatte Hagebölling davon erfahren – wenn nicht schriftlich, dann zumindest mündlich? Hatte auch Wulff davon erfahren? Diese Fragen ließ das Präsidialamt bisher ausdrücklich offen.

Doch Politiker wie Wulff nutzen Scheindementis aus gutem Grund. Einige Journalisten, vor allem wenn sie in Eile sind, werden ihnen immer glauben. So war es dann auch hier. Mehrere Zeitungen – darunter die ehrwürdige Frankfurter Allgemeine – vermeldeten heute, das Präsidialamt habe unseren Bericht „dementiert“.

Den Vogel schoss dabei gestern Ulrich Deppendorf ab, der Leiter des ARD-Hauptstadtstudios. Er bezeichnete – in der Tagesschau und auf tagesschau.de - das Scheindementi erstens als Dementi. Er erwähnte nicht, welche offenen Fragen es gibt. Und er ließ sich sogar zu dem Kommentar herab, dem „Dementi“ des Präsidialamtes sei „zu glauben“.

Genau lieber Kollege. Wir sollten Christian Wulff immer kräftig glauben, was er sagt. Damit sind wir in den vergangenen Monaten doch immer gut gefahren. Oder?

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