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Last Call Jogi hat die Nase voll und Lineker die Hosen. Aber am Ende gewinnt England

Einer der größtenVorzüge unseres Umzugs nach England ist, dass wir kein deutsches Fernsehen mehr empfangen.

Wir haben auch in Deutschland verhältnismäßig wenig Fernsehen geschaut, eigentlich nur das Notwendigste – Nachrichten, Fußball, Dokumentationen. Und nie, nie, nie Tatort. Insofern schlagen wir vielleicht etwas aus der Art.

Wir schauen auch in Großbritannien nur das Notwendigste im Fernsehen – Nachrichten, Fußball, Dokumentationen. Aber es ist, man kann es nicht anders sagen: ein Genuss.

Wenn auf dem Platz nach den Worten von Gary Lineker am Ende immer die Deutschen gewinnen, gewinnen im Studio immer die Engländer. Das wird bei der Weltmeisterschaft drastisch deutlich.

Das Schönste an der Fernseh-Fußball-Weltmeisterschaft im Ausland ist die Abwesenheit von Oliver Kahn und Katrin Müller-Hohenstein. Kahn ist ja seit vielen Jahren schon der Experte des ZDF. Offenbar hat sich beim ZDF noch niemand getraut, Oliver Kahn zu sagen, dass er zwar ein ganz toller Torwart war, aber ein entsetzlicher Experte ist. Bei Kahn verhält es sich so wie bei einem Physiklehrer, der unendlich viel von Physik versteht, seine Schüler aber an den Rand des Wahnsinns langweilt. Und Müller-Hohenstein hat das Poesiealbum als journalistische Darstellungsform entdeckt. Nach allem, was man hört, liest und in Ausschnitten auch sieht, ist diese Weltmeisterschaft in Brasilien der bislang vorläufige Tiefpunkt der deutschen Fernsehberichterstattung.

Die Briten haben es besser.

Hierzulande teilen sich die BBC und ITV die Rechte an der WM. Sie teilen sich sogar einen Zweckbau über der Copa Cabana. Beide haben für die WM eine Runde von Experten verpflichtet, die tatsächlich auch Experten sind, ehemalige Weltklassespieler und namhafte Trainer: der Niederländer Clarence Seedorf, die Franzosen Thierry Henry und Patrick Viera, der Italiener Fabio Cannavaro, die Engländer Alan Shearer und Ian Wright, die Schotten Alan Hansen und Gordon Strachan, die Premier League-Trainer Martin O’Neill und Gus Poyet und und und. Nach den Spielen analysieren und diskutieren die Herren auf relativ hohem Niveau. Wenn man aus Deutschland kommt sogar auf höchstem Niveau.

Aber auch oder gerade die Briten neigen dazu, im Sport relativ unbarmherzig mit ihren Experten und Kommentatoren umzugehen. Sie wissen gar nicht, wie gut sie es haben. Für ITV beispielsweise moderiert im Studio ein Mann namens Adrian Chiles. Er ist in Großbritannien ungefähr so beliebt wie Frau Müller-Hohenstein in Deutschland. Auf Facebook gibt es eine Seite mit dem Namen „Petition to Get Adrian Chiles Off All Football Programmes“. Und auf Twitter bricht immer die Hölle los, wenn Chiles im Studio sitzt. Der Komödiant Stewart Lee nannte Chiles einmal „einen sprechenden Bierhumpen, randvoll mit dampfender Pisse“. Das hängt ihm bis heute nach. Nicht Lee. Sondern Chiles.

Man muss allerdings auch sagen, dass Chiles leider oft eine etwas unglückliche Figur macht. Diese Woche konnte er als einziger Mensch weltweit nicht die Bisswunde auf der Schulter des Italieners Chiellini sehen. Er hat aber das Glück, dass ihn seine Experten meistens einfangen und die größten Dümmlichkeiten einfach so weg reden oder überstimmen. Dieses Glück hat Oliver Kahn zum Beispiel nicht.

Für die BBC moderiert seit 20 Jahren Jahren der frühere Weltklassespieler Gary Lineker, der mit seinen 53 Jahren immer noch wie ein ewiger Junge aussieht. Lineker liegt mit seinen Analysen meistens richtig und muss nicht von seinen Kollegen eingefangen werden. Auf Twitter ist auch immer die Hölle los, wenn Lineker an der Reihe ist. Was daran liegt, dass er selbst gerne twittert und damit die Hölle lostritt. Er hat 2,75 Millionen Follower. „Soll unser Trainer seine besten Leute bringen oder einigen der jungen Spieler die Chance geben, sich ebenso zu blamieren wie die älteren?“, fragte er vor dem bedeutungslosen letzten Spiel der Engländer, ehe sie nach Hause flogen.

Solche Sachen sagt oder schreibt der ständig. An guten Tagen kommt Mehmet Scholl ein bisschen an Gary Lineker heran. An guten Tagen. Und nur ein bisschen.

Er versteht sogar Spaß auf seine Kosten. Vor der WM machten zwei peinliche Filmchen die Runde: Eines zeigte den ewig popelnden deutschen Trainer Jogi Löw beim Verzehr seiner Nasenfrucht – und zwar Wochen, bevor diese Nebentätigkeit des deutschen Trainers auch in Deutschland verdiente Aufmerksamkeit fand. Das andere zeigte Gary Lineker, wie er bei der WM 1990 beim Spiel gegen Irland die Hosen voll hatte. Und zwar im Wortsinn und so richtig. Und wie er dann die Resultate seiner Darmtätigkeit über den Rasen rutschend verteilte. Er hatte irgendwas Falsches gegessen.

Nicht nur aus diesem Grund wird Lineker die Weltmeisterschaft in Italien nicht vergessen. Im Halbfinale gegen Deutschland glich er erst aus. Danach verlor England natürlich im Elfmeterschießen. Und schließlich prägte er eben jenen berühmten Satz von den 22 Männern, die Fußball spielen. Und den Deutschen, die am Ende immer gewinnen.

Vielleicht wird dieser Klassiker angesichts der Darbietungen der englischen Nationalelf alsbald von einem anderen, zeitgemäßeren Lineker-Bonmot abgelöst: „Die WM ist alle vier Jahre. Sie ist also ein dauerhaftes Problem.“

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