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Last Call Koks im Wasser – Londons High Society

Das Internet ist ein Segen, denn der Mensch ist ja ein Gewohnheitstier und verzichtet auch während Reisen nicht auf liebgewonnene Annehmlichkeiten von zu Hause. Wer zum Beispiel in London Kokain kaufen möchte…, tippt einfach „How can I buy cocaine in London?“ in die Suchmaske und erhält von den bekanntlich sehr freundlichen Briten gleichermaßen reizende wie hilfreiche Antworten, wie die Suchanfrage einer jungen Dame illustriert.

Paul beispielsweise schreibt ihr: „Wir verkaufen und vertreiben hochqualitatives Material in großen und kleinen Mengen. Anbei ist eine Liste unserer Produkte...“ Nomad postet: „Deine Zellennachbarn sollten dir einen Dealer empfehlen können.“ Und ein Mensch mit dem schönen Pseudonym „Schnell stricken, warm sterben“ antwortet fürsorglich: „Dear, in London kannst du kein Kokain kaufen. Nicht mal die Königin nimmt Kokain. In London ist alles, was du brauchst, eine Tasse Tee.“

Das ist eine überaus kluge und durchaus hintersinnige Antwort, denn zum Tee gehört Wasser. Und der Kokain-Verbrauch in London ist derart hoch, dass es tatsächlich im normalen Trinkwasser gefunden wird – und zwar in Dosen, die fast auf dem doppelten Level des legendär freizügigen Amsterdams liegen. Lediglich im belgischen Antwerpen ermittelten Wissenschaftler eines Instituts aus Lissabon in einer Art gesamteuropäischen Urin-Tests mehr Spuren des Pulvers als in London.

Abwasser sagt viel über Städte und Menschen. Und deren Exkremente sagen was über Exzesse der Menschen in diesen Städten. Crystal Meth in Prag und Bratislava, Amphetamine in Eindhoven und Göteborg, Koks in den Finanzmetropolen Zürich und London. Die Forscher tauchten tief ins Detail: Während im restlichen Europa die Konzentration von Drogen im Kanalsystem an den Wochenenden stieg, erreicht der Londoner Koks-Konsum ausgerechnet dienstags seinen Höhepunkt.

Die Frage nach dem Warum ist bislang noch nicht zufriedenstellend beantwortet. Drogen-Experten vermuten im Dienstag die Fortsetzung des berüchtigten „Hangover Mondays“, jenes Wochenanfang-Blues, den Fortgeschrittene mit Alkohol statt Alka Seltzer wacker nieder ringen. Nach streng unwissenschaftlichen Vermutungen könnte der hohe Kokain-Verzehr mit der hohen Anzahl an Werbern, Bankern und Brokern in der Stadt zusammenhängen, die, wie man weiß, aus der großen Finanzkrise nicht so wahnsinnig viel gelernt haben und den Hals einfach nicht voll kriegen, die Nase aber schon. Zumal an Dienstagen, langweiligster Tag der Woche, nicht Fisch und nicht Fleisch, nicht Anfang und nicht Ende. Und was macht der gelangweilte Neureiche dann? Richtig.

In London, schreibt die „Financial Times“ in einem klugen Stück, sei die Allgegenwärtigkeit und soziale Akzeptanz von Kokain „auf schulterzuckender Augenhöhe mit Sushi-Kauf im Supermarkt“. Es gehe dabei nicht mehr allein um das hohe und überladene Tempo des Alltags, sondern um Existentielles: „Digitales Leben und soziale Netzwerke erlauben uns, selbstbewusster, geselliger und schneidiger zu erscheinen als wir tatsächlich sind. Vielleicht hilft Kokain unserem offline-Selbst zu unserem idealisierten online-Selbst aufzuschließen.“

Regelmäßig, beinahe jeden Tag, berichtet die ortsansässige Presse über Protagonisten der High Society, etwa über die Fernsehköchin Nigella Lawson, die sich im vergangenen Jahr einen Rosenkrieg mit ihrem damaligen Gatten, dem Kunstsammler Charles Saatchi, lieferte und sich ziemlich offline mit Koks bei Laune hielt, was sie natürlich auch online inzwischen sehr bedauert und natürlich nie wieder tun wird.

Ebenso reuevoll äußerte sich auch der ehemalige Chef der britischen Co-op-Bank Paul Flowers, unter dessen Ägide das Geldinstitut rapide an Ansehen und Liquidität verlor. Der Hobby-Pastor einer Methodisten-Kirche versprach vor Gericht, sein Drogenproblem ein für allemal zu lösen, wurde aber nur wenige Tage danach beim Schnupfen ausgerechnet in einer kirchlichen Herberge gefilmt, weshalb Flowers den Spitznamen Crystal-Methodist trägt.

Die Stadt London hat inzwischen reagiert und einen kleinen Ratgeber mit einem wunderbar ausgewogenen Pro und Contra ins Netz gestellt. Positiv: Koks macht schnell high und schnell geil. Negativ: Koks kann den Orgasmus ruinieren. Unter dem Strich also eine Art Nullsummenspiel. Die höflichen Stadtväter geben auf der Seite auch noch ein paar nützliche Tipps für Einsteiger: Keine Linien auf dem Klo wegen der Bakterien! Immer den eigenen Strohhalm benutzen! Und danach die Nasenlöcher schön mit Wasser ausspülen.

Was vielleicht erklärt, wie so viel Kokain ins Londoner Kanalsystem gerät.

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