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Last Call Sexismus? Ach was! Bester Platz der Welt

Briten haben ein Humorgefühl, um das sie zu Recht in der ganzen Welt beneidet werden. Sie haben darüber hinaus die Gabe, vor allem über sich selbst zu lachen. Sogar Politiker können das hier. Manchmal ist der Humor derbe, vielleicht auch jenseits des guten Geschmacks und gern unter der Gürtellinie – vor wenigen Monaten witzelte die konservative Abgeordnete Anna Soubry über den Anti-Europa-Populisten Nigel Farage, der sehe so aus wie jemand, „der sich die Finger in den Hintern schiebt und das auch genießt“. Es war im Übrigen eine durchaus treffende Beschreibung. Aber auf Twitter wurde daraus kurzzeitig „Fingergate“. Farage nahm‘s relativ gelassen.

Mit dem Humor in der Politik hört es aber dann auf, wenn jemand von draußen, sagen wir: aus Südafrika oder Brasilien nach Großbritannien kommt und dann nichts Nettes über die Gastgeber sagt. Normalerweise sagen Reisende über England ja immer schöne Dinge außer vielleicht übers Wetter. Und normalweise ist das ja auch richtig so. Die UN-Sonderberichterstatterin Rashida Manjoo hat das nun ausnahmsweise nicht getan und erfuhr: Furor. Die Südafrikanerin kam nach einem 16 Tage langen Besuch zu dem Schluss, das Vereinte Königreich sei sexistisch; es existiere in der Politik eine „Boys Club“-Kultur, und die Vermarktung des weiblichen Körpers im Alltag sei „durchdringender“ als anderswo. Sie sagte: „Ich bin sicher, dass es das in anderen Ländern auch gibt, aber es ist nicht so allgegenwärtig.“

Man weiß nicht, ob Frau Manjoo auf ihrer Mission auch noch Hamburg und Amsterdam besucht. Oder Italien und sich dort etwa vom ordnungsgemäßen Bekleidungszustand italienischer Fernseh-Ansagerinnen überzeugen wird. Man weiß aber, wo sie schon überall war, Bangladesch, Jordanien, Somalia oder Kirgisien. Das sind, so weit bekannt, alles keine emanzipatorischen Refugien und Traumziele. Und macht die Causa in Britannien ziemlich schwer verdaulich. Zumindest in konservativen Kreisen und in konservativen Medien. Zeter und Mordio. Frau Manjoo war nämlich schon die zweite UN-Emissärin binnen weniger Monate, die dem Zauber der Insel nicht komplett erlag. Im vergangenen September hatte ihre brasilianische Kollegin Raquel Rolnik nach einem ähnlichen Exkurs Kürzungen im britischen Wohlfahrtssystem kritisiert. Auch damals Zeter und Mordio. Rolnik, war zu lesen, sei eine marxistisch durchwirkte Amateur-Hexe.

Vielleicht hatte Frau Manjoo auch nur eine etwas unglückliche Zeit für ihre Inspektion erwischt. Wann immer sie nämlich in den vergangenen zwei, drei Wochen die Zeitung aufschlug oder das Fernsehen einschaltete, wurde sie Zeuge einer in der Tat allgegenwärtigen Sexismus- und Belästigungsberichterstattung: Praktikanten und Praktikantinnen, die von Abgeordneten in Westminster, nun: Sexminster bedrängt und/oder befummelt wurden. Politiker und Fernsehgrößen, die vor Gericht gezerrt und dort detailliert über ihr Triebleben bis hin zur Schwanzgröße Auskunft geben mussten. Missbrauchsskandale in Privatschulen, Schwulen-Orgien in Hotels, ausgerechnet am Rande eines konservativen Parteitags. Und überhaupt: permanente Gelage nach Dienstschluss. Ein einziger Polit- und Promiporno.

All das konnte Frau Manjoo jeden Tag in den Zeitungen lesen. Ganz besonders episch in jenen, die sie jetzt als blödsinnig beschimpfen und fragen, wie eine Frau ausgerechnet aus Südafrika sich erdreisten könne, solche Sachen zu behaupten. Wo doch vor der eigenen Haustür und so weiter und so fort.

Die „Daily Mail“, die sich sonst schwerpunktmäßig und vorbildlich mit den Prostata- oder Zellulitis-Beschwerden ihrer offenbar etwas älteren Kundschaft befasst, ließ gleich eine Armada von Kommentatoren und Leitartiklern von der Kette „Sexistisch? Unsinn. Britannien ist der beste Platz der Welt für eine Frau“, schrieb eine Kolumnistin, der mal ein Mann (nicht ihrer) bei einer Party ans Knie gefasst und geraunt hatte: „Wenn dein Alter dich langweilt, weiß du ja, zu wem dem kommen kannst.“ Und das wissen nun auch ihre Leser.

Ein paar Seiten davor durfte der Europa-Abgeordnete Daniel Hannan richtig Dampf ablassen über Feministinnen wie Frau Manjoo aus Südafrika und die UN aus der Schweiz, die Fifa und das IOC (auch Schweiz) und die EU (nicht Schweiz). Alle irgendwie eins und alle nicht gut fürs Königreich. So ungefähr ging das auf einer ganzen Seite. Hannan meinte zwar jedes Wort ernst. Aber es war doch sehr, sehr lustig. Natürlich unfreiwillig, aber das ist egal. Nichts geht über englischen Humor.

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