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Last Call Warten auf Assange

Last Call: Warten auf Assange

Zu meinen eher unangenehmen Charaktereigenschaften gehört Neugier. Vielleicht, aber nur vielleicht, bringt das meine Beschäftigung mit sich, eine Art Berufskrankheit. Meistens bin ich aber auch neugierig, wenn ich weiß, dass es für Neugier eigentlich gar keinen Grund gibt.

Freitag war so ein Tag. Ein Neugier-Tag. Julian Assange, der seit dreieinhalb Jahren in der ecuadorianischen Botschaft in London sitzt, hatte angekündigt, dass er womöglich das Gebäude verlassen und sich den Behörden stellen werde. Für den Fall nämlich, dass ein Gremium des UNO-Menschenrechtsrats entscheiden würde, dass er zu Recht von schwedischen Behörden verfolgt wird. Es hätte dann keinen Sinn mehr, er würde das akzeptieren, schrieb Assange auf Twitter.

Natürlich, denn Assange ist ja alles andere als doof, hat das Gremium dann entschieden, dass sein Aufenthalt in der Botschaft „eine Form der willkürlichen Inhaftierung“ darstelle und Assange seiner Freiheit beraubt werde. Obwohl er, wenn ich mich recht erinnere, im Juni 2012 diese Art von Hausarrest selbst wählte, als er in das Gebäude spazierte. Das nur nebenbei.

Jedenfalls waren mit der Entscheidung zwei Dinge klar: Assange würde in der Botschaft bleiben. Und es würde endlich mal wieder was los sein in Knightsbridge, vor der Botschaft.

Das meine ich mit Neugier. Schön ist das nicht, niedere Motive, zugegeben. Man kann freitags in London viel interessantere Dinge tun, als vor einer Botschaft stehen, in der Julian Assange seit drei Jahren sitzt. Aber es gab auch andere Neugierige, ungefähr ein paar Hundert, die genau darauf warteten, dass nichts passieren würde.

Es war ein bisschen so wie vor der Geburt von Kates Baby. Ähnlich wie Kate hat auch Julian Assange nämlich einen Fanklub von Sympathisanten. Einer von ihnen heißt Lance Rolls, ist ein Aktivist und in dieser Funktion gegen alles: den Staat, englisches Essen, die Autoritäten, Überwachung. Lance trug ein blaues Plakat, auf dem „Liberdad Assange“ stand. Lance erzählte von den Freimaurern früher, und dass die politische Kaste sich immer noch so geheimnisvoll verhalte wie die Freimaurer. Er stammt ursprünglich aus Neuseeland, aber auch Neuseeland ist seiner Meinung nach ein Schweinestaat. Er hatte dort nicht näher definierten Ärger, zog deshalb nach London. Lance schloss gleichermaßen geheimnisvoll wie bündig: „Ich weiß sehr genau, was in der Welt so passiert.“

Neben ihm stand ein etwas älterer Aktivist, Jim Curran, 68 Jahre, gebürtiger Ire. Jim war schon gegen den Vietnamkrieg und seitdem löblicherweise gegen alle Ungerechtigkeiten auf der Welt. Kriege, Unterdrückung, Korruption und Verschleierung. Er sah so aus, als habe er ein außerordentlich erfülltes Aktivisten-Leben geführt. Im Gegensatz zu den allermeisten kennt er Julian Assange persönlich. Jim war bei den ganzen Prozessen gegen ihn dabei und auch schon mal oben in der Botschaft.

Und neben Jim wiederum stand noch ein sehr alter Herr, der seinen Namen nicht nennen wollte, weil der Überwachungsstaat überall ist und er zum Beispiel gezählt hat, dass ihn allein 16 Straßenkameras auf dem Weg zum Supermarkt filmen. Er drückte mir konspirativ ein Flugblatt in die Hand. SunOrCell, stand vorne drauf. Sonne oder Zelle. Das war sehr nett von ihm.

Last Call: Die Aktivisten Jim und Lance. Sie kommen immer mal wieder zur Botschaft
Die Aktivisten Jim und Lance. Sie kommen immer mal wieder zur Botschaft

Außerdem noch anwesend Elsa, eine Kolumbianerin mit Megafon, von der Jim sagte, sie sei komplett irre, aber lieb. Als Aktivist kennt man sich. Manchmal halten sie noch Mahnwachen ab vor der Botschaft. Leider bekommt die Mahnwachen normalerweise niemand mit.

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die Assange-Fans sind. Mir sind sie grundsätzlich auch näher als, sagen wir, Kate-Fans oder welche von Bayern München. Er war immerhin ein großer Whistleblower, die WikiLeaks-Dokumente eine Offenbarung für die ganze Welt. Allerdings kenne ich auch Menschen, die Assange richtig gut kennen. Die mit ihm zusammen arbeiteten und eng befreundet waren – und es nicht mehr sind aus guten Gründen. Die sagen, er habe die Bodenhaftung komplett verloren. Und die die Vergewaltigungsvorwürfe nicht abtun als ein Komplott von Amerikanern und Schweden und kein Mitleid haben mit ihm und seinem begrenzten Leben in London.

Inzwischen ist Assange auch in der Whistleblower-Tabelle hinter Edward Snowden zurückgefallen. Snowden lebt auch im Asyl, in Russland. Er hat aber immerhin freien Auslauf dort.

Julian Assange wohnt auf 20 Quadratmetern, im ersten Stock links. Den anderen Flügel haben die Kolumbianer gemietet. Die Preise in London sind so, dass sie sich ein Stockwerk teilen müssen, eine lateinamerikanische Wohngemeinschaft. Es ist ein sehr schönes Gebäude, aber Assange hat bei der Auswahl seines Asyls definitiv nicht bedacht, dass sich Ecuadorianer und Kolumbianer eben keinen Garten leisten können. Seine Mutter in Australien sagte gerade, dass ihr Junge krank sei und dringend an die frische Luft gehöre und an die Sonne.

Im September nun gelangten paradoxerweise in alter WikiLeaks-Manier ein paar geheime Dokumente an die Öffentlichkeit, die zeigten, wie es oben im ersten Stock zugeht. Dass nämlich der erratische Untermieter seinen Hausherren offenbar entsetzlich auf den Geist geht, wie in einer echten WG eben. Assange neige zur Überheblichkeit und Zorn und zwar speziell im Umgang mit weiblichem Person. Einmal schloss er sich offenbar beleidigt stundenlang im Klo ein. Solche Sachen passieren dort ständig. Die zusehends genervten Ecuadorianer erwogen sogar zeitweise, den Dauergast zu verkleiden und aus dem Gebäude zu lotsen, zumindest kurzfristig. Auf dass er im benachbarten Harrods-Kaufhaus kurz mal Luxus schnuppern könne. Sie ließen das dann doch. Vor dem Gebäude standen damals noch Polizisten. Die sind nun weg, zu teuer.

Last Call: Lateinamerikanische Wohngemeinschaft
Lateinamerikanische Wohngemeinschaft

Kollegen, die ihn mal besuchten, erzählen auch, dass er sich furchtbar langweile. Er hat eine Höhensonne und ein Trimmgerät im kleinen Zimmer, aber das wird auf die Dauer natürlich auch öde, immer nur strampeln und vor der Höhensonne sitzen und nichts mehr enthüllen.

Insofern war das Spektakel vor der Haustür für Assange bestimmt eine willkommene Abwechslung. Unten warteten seine Fans und andere Berufskranke wie ich. Elsa, die Verrückte, packte immer mal wieder ihr Megafon aus und rief irgendwas von Freiheit.

Und dann, endlich, erschien er. Es öffnete sich die Tür, und Assange, weißhaarig und blass, trat auf den schmalen Balkon. Er hielt den erstaunlichen UN-Bericht in der Hand wie einen Pokal und sprach von einem großen Sieg, „für mich, meine Familie, meine Kinder aber auch für die Unabhängigkeit der UN“. Er schimpfte noch ein wenig auf die britische und die schwedische Regierung. Die Aktivisten freuten sich sehr. Ein paar Journalisten schüttelten die Köpfe. Nach sieben Minuten drehte er sich um und ging wieder rein.

Draußen wurde es auch ungemütlich.

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