Anzeige

Oben ohne Sexappeal ohne Busen

Oben ohne: Sexappeal ohne Busen
Ist eine Frau ohne Busen noch weiblich? Oft genug fühlte sich Uta Melle nach der Brustamputation unvollständig. Doch ihr Schicksal hat sie eines gelehrt: Echte Schönheit kommt von Innen.

Woran erkennen Sie als erstes, dass jemand eine Frau ist? Am Gesicht? Mund? Augen? Hüften? Kleidung? Figur? Busen? Letzteres ist wahrscheinlich das sicherste Merkmal. Busen habe ich aber nicht mehr.

Die Diagnose kommt plötzlich in einer schlimmen Lebenssituation. Ich treffe klare Entscheidungen und 2 Monate später wache ich auf. Ohne Haare, ohne Brüste. Zwei Monate vorher Sexyhexy auf dem Grace Jones-Konzert abgefeiert, plötzlich ein Sack voll Knochen. Mein Sexappeal war weg. Das war schlimm. Ich begann mich neu zu betrachten und zu suchen, was mein Sexappeal eigentlich ist.

In der klassischen Geschlechtereinordnung bin ich ohne Busen eine äußerlich unvollständige Frau. Das konnte ich ja auch im Spiegel sehen. Nur, was war mit meiner Seele? Aus ihr kommt ja mein Sexappeal. Ich stellte fest, dass sich auch hier etwas verändert hatte: Aus dem sonnige Vollweib war ein schöner Mensch geworden. Rosa? Hellblau? Mir doch egal! Ich muss keine eindeutige Zuordnung zeigen. Echte Schönheit kommt von Innen. Wäre ich ohne mein Schicksal jemals zu der Erkenntnis gekommen?

Im Prozess der Entscheidung, ob oder wie man einen Brustnachbau nach einer Mastektomie machen lässt, stellt sich die Frage nach der Definition der eigenen Weiblichkeit. Wie war sie? Wie ist sie? Wo war/ist mein Sexappeal? Ist er wichtig für mich?

Sich diesen Fragen zu stellen kostet sehr viel Kraft, tut aber auch gut. Bei den meisten Frauen verändert sich das eigene Bild, manchmal sogar die Einordnung in die Geschlechterdefinition, wie bei Melanie Testa oder Emily Jensen, die sich nun als queer definieren. Queer bedeutet die Auflösung der klassischen Geschlechtsidentität mehr zum Charakter, zum wahren Menschen, dessen Schönheit nicht durch die äußeren Geschlechtsmerkmale definiert wird. Wer weiß, ob die Transsexuelle Caitlyn Jenner früher zu ihrem wahren Ich gefunden hätte, wenn sie Hodenkrebs bekommen hätte?

Für mich entstand in dieser Phase ein neuer Begriff von Schönheit. Meine Foto-Shootings haben nicht nur mir dabei geholfen. Das enorme Feedback zeigt mir, dass auch insgesamt in der Gesellschaft ein Umdenken stattfindet.

Die tollste Bestätigung erhielt ich jedoch vor ein paar Wochen mit der Einladung zu einem Dessous-Shooting. Das Vegan Magazin wollte verschiedene Frauentypen in den handgefertigten Dessous von Fransik Dessous zeigen. Bildredakteurin und Fotografin Lena Reiner zeigt Menschen mit Ausstrahlung, nicht Frauen mit perfekten Körpern. Ich war die mit zu wenig Brust

Sie zeigt, dass wir keine Normen benötigen, sie stellt sich der Verantwortung, die Welt zu zeigen, wie sie ist. Endlich jemand, der zeigen will, wie ein Mensch aussieht – mit seinen Fehlern. Trotzdem schön.

Und da sind wir voll in der Debatte um Schönheit, XXL-Models, etc: Ich schätze mal 0,01% der Menschen entsprechen dem klassischen Modelbild, aber wir sehen sie auf ca. 95% aller Werbebilder. Identifikation entsteht da nicht, viel eher schafft es Komplexe. Daher unterstützen Shootings wie diese den Wert des Menschen. Danach habe ich mich gleich bei einer tollen Castingagentur angemeldet, die den echten Durchschnitt repräsentiert: klein, groß, dick, dünn, tättowiert, haarlos, zahnlos, Rollstuhlfahrer, armlos etc. So sind Menschen. Alle haben Narben.

Ein schöner Nebeneffekt ergab sich beim Shooting: Ich habe endlich ein Oberteil für mich entdeckt. Nach 6 Jahren Suche! Und Franziska Zuber kann mit ihren handgefertigten Dessous jetzt besser auf die Modebedürfnisse brustamputierter Frauen eingehen. Deshalb liebe ich solche Begegnungen: für alle beide Seiten ist immer etwas Lehrreiches dabei.

Oben ohne: Uta in Fransik Dessous für das Vegan Magazin. Foto: Lena Reiner. Haare, Make-up: Selina Kreutzer
Uta in Fransik Dessous für das Vegan Magazin. Foto: Lena Reiner. Haare, Make-up: Selina Kreutzer
VG-Wort Pixel