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Oben ohne Wenn Kinder erfahren, dass Mama Brustkrebs hat.

Seinen Kindern zu verschweigen, dass man Krebs hat, hält Uta Melle für falsch: "Wir haben die Pflicht sie zu schützen - aber auch die Aufgabe, ihnen beizubringen, mit Problemen umzugehen."

Ich habe mich sehr erschreckt, als ich 2009 ein Interview sah, bei der eine bekannte TV-Moderatorin sagte, dass sie ihrem kleinen Sohn nichts von der Krebsdiagnose sagte. Kinder merken immer, wenn es ein Problem gibt und wenn wir um den Brei herum reden, fühlen sie sich schuldig. Um das zu verdeutlichen, habe ich Reaktionen von Kindern auf die Diagnose gesammelt.

Ich war gerade 20 Jahre alt geworden, in die Welt hinaus gezogen und frei, da erreichte mich ein Anruf meiner Mutter. Sie sagte, dass man Brustkrebs bei ihr gefunden hatte. Es war ein sehr kurzes Gespräch. Sie war damals 42 Jahre alt. Ich war schockiert und fuhr zu ihr. Dort habe ich eigentlich nur zugehört und versucht, gute Laune zu verbreiten. Irgendwie ging ich immer davon aus, dass alles gut wird.

Sebastian war 21 Jahre alt, auch gerade zum Studium ausgezogen. Er erinnert sich, als ob es heute war: Er saß auf der Terrasse, es wurde gerade Sommer, und seine 44-jährige Mutter rief kurz an, und sagte, dass man einen Knoten in ihrer Brust gefunden hat und dass sie in 2 Tagen operiert werden muss. Sebastian wurde schlecht. Er dachte, er verliert seine Mutter, dann wieder: „Ach, die verarscht dich nur“. Dann wurde ihm klar, dass das garantiert kein Scherz war – ab dem Moment hat er nur noch „funktioniert“. Später fuhr er zu ihr und versuchte ihr Mut zu machen. Er selbst hat sich aber mit lesen, fernsehen etc von dem „was wäre wenn“ abgelenkt. Er hat sich kurzzeitig vor dem Sarg stehen sehen. Erst nach der OP hat er sich beruhigt.

Der Sohn von E. war 14, als er von der Schule nach Hause kam. Kinder merken sofort, dass etwas los ist, so rückte sie gleich mit der Sprache raus. Die Reaktion war identisch mit der seiner 12 Jahre alten Schwester: eine sehr feste Umarmung und Ruhe über das Thema im weiteren Verlauf des Tages. Angst um das Leben ihrer Mutter hatten sie beide nicht. Doch wurde ihnen klar, wie schnell sich das Leben ändern kann.

Der 13-jährige mehrfach behinderte Sohn J. von N. hatte damals sicher nicht alles verstanden, was ihm gesagt wurde, aber er begriff sofort die Angst und Unsicherheit seiner Mutter. Dies zeigte er durch herzliche Umarmungen und es wurden gemeinsame Tränen vergossen. Besonders ging sie in der langen Zeit der Therapien auf seine Ängste und Gefühle ein, damit er verstehen konnte und sich nicht einsam fühlte. Sie haben in der Zeit viel unternommen und gelacht. Noch heute ist N. sehr stolz darauf, wie er die gesamte Situation gemeistert hat – mit einer Mischung aus Coolness und unglaublicher Weichherzigkeit.

Da M.’s Diagnose 2013 auf der Intensivstation erfolgte und sie im Dämmerzustand war, wurden nur ihre 15 und 22 Jahre alten Kinder informiert. Die drei Kleinen – 6 und 10-jährige Zwillinge (Junge/Mädchen) - merkten sofort, dass etwas überhaupt nicht stimmte. So waren die 2 Tage bis zum ersten Gespräch mit ihrer Mutter von Angst und Panik geprägt. Der 10-jährige hat sich sogar sehr zurückgezogen und wollte nur alleine sein. Hinzu kam Eifersucht auf die Großen, die informiert wurden. Aber auch diese hatten ihre Probleme mit der Verarbeitung: Die 15-jährige Tochter bekam Schlafstörungen, konnte lange Zeit nicht zur Schule gehen und die 22-jährige Tochter wandte sich bis zum Ende der Chemo ab. Inzwischen ist alles wieder in Ordnung.

Die Kinder von S. reagierten unterschiedlich entsprechend ihrem Alter auf die Diagnose: Die 14-Jährige hat die Diagnose gefasst aufgenommen. Eine große Diskussionsbereitschaft war nicht zu erkennen, solange sie über alle Maßnahmen aufgeklärt war. Die 12-Jährige war dagegen am Boden zerstört: Parallelen zur vor 4 Jahren verstorbenen geliebten Oma waren schnell da. Sie wollte alles genau wissen, half wo sie kann und beschwerte sich über schwarzhumorige Aussagen ihrer Mutter. Sie bekam Angstzustände, die schulische Leistung litt. Sie ist in psycho-therapeutischer Behandlung. Der 4-Jährige Sohn hat alles sehr gut weggesteckt: Dank intensiver „Bespielung“ von Papa war er abgelenkt. Lediglich die Glatze und das Wort „Tumor“ mochte er nicht. Im Kindergarten erzählt er immer noch stolz, dass seine Mama nur eine Brust hat und dass das voll in Ordnung ist!

Meine Kinder waren 6 und 9, gerade war die Beerdigung ihrer an Krebs verstorbenen Oma und sie befanden sich bei ihrem Onkel mit Papa im Garten. Er erklärte ihnen, dass Mama Brustkrebs hat. Sie fragten: „Wird Mama jetzt sterben?“. Mein Mann antwortete klar und im Brustton der Überzeugung: „Nein. Mama kennt sich sehr gut aus. Sie wird das überleben!“ Als sie wiederkamen waren sie ganz normal und munter. Die Kleine erklärte ihren Kindergartenfreunden die ganze Situation folgendermaßen: „Mama hat zwar keine Brüste mehr, dafür lebt sie jetzt länger“. Auch die Große ist wunderbar mit der Situation umgegangen –heute bekommt sie jeden Beitrag von mir vor der Veröffentlichung zu lesen und korrigiert diese.

Zurückblickend würde ich sagen, dass ich hier und da vielleicht ein wenig zu offen war – aber lieber zu offen, als zu verschwiegen heißt da meine Devise.

Wir haben die Aufgabe unseren Kindern Geborgenheit und Sicherheit zu geben – wir müssen sie aber auch darauf vorbereiten, wie man große Hindernisse überwindet und mit Problemen umgeht.

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